Regisseurin Caterina Mona im Interview

«Semret» – ein Film über die Welt von Geflüchteten und ihrer Kraft

Eine alleinerziehende Mutter, die mit ihrem Fluchttrauma zu kämpfen hat: «Semret» (2022) ist ein berührendes Sozialdrama geworden, das zum Nachdenken anregt. Boleromagazin.ch hat mit der Zürcher Regisseurin Caterina Mona über ihren ersten Langspielfilm gesprochen.

Film «Semret», Regisseurin Caterina Mona

Flucht, Trauma, Migration, Integration – diese Themen behandelt Caterina Mona (48) mit Fingerspitzengefühl in ihrem ersten langen Spielfilm «Semret». Darin erzählt sie die Geschichte der alleinerziehende Mutter Semret (Lula Mebrahtu), die aus Eritrea geflüchtet ist, um ihrer Tochter Joe (Hermela Tekleab) Chancen auf eine bessere Zukunft zu ermöglichen, als sie selbst hatte. In Zürich ist es ihr gelungen, Fuss zu fassen. Sie arbeitet in einem Spital und lernt abends für die Ausbildung zur Hebamme. Doch Joe beginnt immer mehr nach ihrer Herkunft und ihrem Vater zu fragen. Im Teenageralter will sie ihre Identität erforschen, was Semret an ihre Grenzen bringt. Sie fühlt sich nicht bereit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Unter welch starkem Trauma sie wirklich leidet, wird aber nie klar ausgesprochen, sondern mehr im Hintergrund stehen gelassen.

«Wie gehen Menschen, die so etwas erlebt haben, mit ihrem Trauma um? Ich wollte mit dem Film erforschen, wie stark sie das prägt», erklärt Mona die Gedankengänge hinter ihrem Film, der Weltpremiere am 75. Locarno Film Festival feierte. Andererseits war es auch der direkte Kontakt zu Familien aus Eritrea, der sie inspirierte: «Vor einigen Jahren sind wir nach Zürich Kalkbreite gezogen. Dort kamen wir über unsere Kinder in Kontakt miteinander.»

Es war nicht Monas erste Berührung mit geflüchteten Menschen, aber zum ersten Mal waren es Personen aus Eritrea. «So lernte ich eine ganz neue Welt kennen, die ich vorher nur aus den Medien kannte», so die Filmemacherin. Während ihrer Kindheit, die sie wohlbehütet im Zürcher Oberland verbrachte, waren Monas Eltern politisch aktiv. Schon als Kind lebten bei ihr zu Hause Flüchtlinge.

Im Interview erzählt die Zürcher Regisseurin, welche Botschaft sie mit ihrem Film vermitteln will und welchen Herausforderungen sie während des Drehs begegnete.

Boleromagazin.ch: Mit «Semret» haben Sie einen berührenden Film über Flucht und Trauma geschaffen. Sie selbst sind in der Schweiz aufgewachsen, mussten sich nicht um Ihre Sicherheit und Perspektiven sorgen – wie dankbar sind Sie dafür?

Caterina Mona: Das ist natürlich ein unglaubliches Glück! Aber hier geht es ja nur darum, wo man geboren wurde. Wir dürfen nicht ausser Acht lassen, dass Menschen wie Semret auch Menschen sind, die extrem viele Ressourcen haben. Das ist auch die Botschaft, die ich mit meinem Film vermitteln möchte: Ich will nicht einfach nur ausdrücken, dass es sich um wahnsinnig arme Menschen handelt, weil sie solch extreme Dinge erleben mussten, die wir niemals nachvollziehen können, sondern sind es eben auch Menschen mit enorm viel Ressourcen. Durch das Erlebte schöpfen sie teilweise ja auch eine Stärke, die wir so gar nicht haben.

Dann wollen Sie unser Augenmerk auf die positiven Aspekte von Geflüchteten richten?

Genau. Erstens sind es Menschen, wie du und ich. Zweitens ist es wichtig, dass wir die Augen und Ohren offen halten, um zu realisieren, welch Potenzial diese Menschen mitbringen – für Zusammenarbeit und Beisammensein.

Welche weitere Botschaft versteckt sich hinter Ihrem Werk?

Das Wichtigste für mich in Filmen ist, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer berührt werden. Man soll einen Einblick in ein Leben von jemand anderem bekommen, von wo aus man vielleicht auch Parallele zu sich selbst, seinem Umfeld oder der Welt, in der wir leben, ziehen kann. Um ganz offen zu sein, «Semret» ist kein Film, der eine konkrete Botschaft rüberbringen soll, aber es geht vor allem um Menschlichkeit und darum, andere anzuspornen, offenzubleiben.

Einen solchen Einblick bekommen wir in das Leben von Semret. Ist der Hauptcharakter von einer realen Person inspiriert?

Nicht ganz. Es waren mehrere Frauen und ihre Geschichten, die mich zu Semret brachten. Ich habe viele Porträts oder Interviews gelesen, oft auch von anonymen Personen, und mich davon inspirieren lassen. Über eine Journalistin fand ich schliesslich aber den Kontakt zu einer Frau, an deren Erzählungen ich mich etwas stärker anlehnte. Ihre Geschichte ähnelt derjenigen, die ich zeigen wollte und bei ihr konnte ich immer wieder Vergleiche ziehen.

Welchen Herausforderungen sind Sie während des Drehs begegnet?

Es war gar nicht so einfach, Menschen zu finden, die aus Eritrea kommen und Tigrinya sprechen. Und wir hatten sehr strenge Coronamassnahmen, obwohl wir natürlich enormes Glück hatten, überhaupt drehen zu können.

Wie glücklich sind Sie über Ihren ersten Langspielfilm?

Ganz ehrlich? Es ist schwierig, mein Glück in Worte zu fassen. Dieser Dreh war etwas vom Schönsten, das ich je machen durfte. Ich hatte ein wahnsinnig tolles Team und es herrschte stets eine friedliche Atmosphäre auf dem Set. Das lag mir auch besonders am Herzen bei dieser Thematik: Dass wir Ruhe bewahren können!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Im Moment kann man sich für die Welt einfach nur Frieden wünschen. Grundsätzlich habe ich aber keine grossen Wünsche. Ich würde sagen, ich bin ziemlich wunschlos glücklich. Und vor allem bin ich eine Frau, die daran glaubt, dass einem das Leben genau dorthin bringt, wo man hin muss. Natürlich möchte ich weiterhin Filme machen können, ich hoffe, dass die Leute «Semret» toll finden und die Menschen um mich herum sollen gesund bleiben – aber am Ende vertraue ich darauf, dass das Leben mich schon in die richtige Richtung führt. Denn bisher kam ich so immer an schöne und wunderbare Orte.

Info zum Film:

«Semret» kommt am 25. August 2022 in die Schweizer Kinos. Weltpremiere feierte das Sozialdrama von Regisseurin Caterina Mona am 75. Locarno Film Festival. 85 Minuten; OV Schweizerdeutsch/Tigrinya, UT Deutsch/Französisch. Mehr Details zum Film findest du hier. Und unter diesem Link findest du die aktuellen Vorführungen.

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