Griechische Inseln

Hellas

Jeder hat sie, die eine Lieblingsinsel in Griechenland. Aber kaum jemand verrät die eigene. Wir machen den Anfang — mit zwei besonderen.

Kristin Müller
Charlotte Fischli
27. Aug. 2025
Beliebt

KEA

Wie viele Menschen in Ihrem Umfeld haben diesen Sommer aus Griechenland gegrüsst, sehnsuchtsbeladene Schnappschüsse von frischen Pulpo-Salaten auf verwitterten Holztischen vor weissen Mauern und dem ultrablauen Meer gepostet? Die Kykladen sind längst zum Synonym für sommerliches Inselglück geworden: stylisch, szenisch, Social-Media-optimiert – und wahnsinnig voll. Doch es gibt eine Ägäis jenseits von Touristenmassen und Hype-Lokalen. Wenn man denn nur weiss, wo man suchen muss.

Rund eine Stunde Fährfahrt von Athen entfernt liegt sie: Kea – oder Tzia, wie sie im Volksmund heisst –, eine Insel für diejenigen wenigen, die überhaupt von ihr wissen. Ein geheimes Sommerrefugium der Athener Hautevolee, ein Rückzugsort für Intellektuelle, Architekten und Künstler – für Menschen, die die Ruhe suchen, Downtime, den Luxus des Einfachen, Menschen, die nicht verändern wollen, was sie finden, sondern behutsam verfeinern. Auf Kea gibt es keine Szenelokale, keine Fitnessstudios und Designerboutiquen, keine Insta-Hotspots, keine Partyboote oder Grossraumdiskotheken. Eigentlich gibt es auf Kea kaum etwas. Und genau das macht die Insel so unglaublich schön. Genau darum wollte ich hin.

Dass Kea so lange ein Dasein im Verborgenen fristete, wirkt im Rückblick fast paradox. In der Antike zählte die Insel zu den kulturell und politisch bedeutendsten Stadtstaaten der Kykladen. Philosophen wie Simonides – berühmt für seine feinsinnigen Epigramme und seine Überlegungen zur Erinnerung als Form geistiger Ordnung – prägten von Kea aus das Denken ihrer Zeit, und der Legende nach soll hier der Kult um Asklepios, den Gott der Heilkunst, besonders stark verwurzelt gewesen sein. Kreuz und quer über Kea verteilt, finden sich Spuren von Heiligtümern und medizinischen Kultstätten, in denen – so glaubt man heute – Rituale, Kräuterheilkunde und spirituelle Praktiken miteinander verschmolzen sind. Die Vorstellung, dass Landschaft und Geist miteinander kommunizieren, war im griechischen Denken immer tief verankert – und Kea mit ihrer Kargheit, ihren Winden und dem offenen Horizont bot dieser heilenden Verbindung das ideale Setting. Sie tut es noch heute.

Es ist tatsächlich schwierig, nicht tiefer zu atmen, langsamer zu denken, seeliger zu schlafen, wenn die Welt um einen herum aus nichts als Ruhe besteht – einem Leben inmitten «einer Landschaft, die nicht zur Bühne taugt, aber zur inneren Einkehr», wie ein unbekannter Denker es einst beschrieb. Alles auf Kea ist ruhig, ist weich, ist harmonisch. Im Kontrast zu den Steilküsten anderer Kykladeninseln wirkt Kea sanfter modelliert: Hügel und Senken in einem Mix aus warmen Erdtönen und entsättigtem Grün gehen nahtlos ineinander über, immer wieder durchzogen von schmalen Pfaden – sogenannten Monopatia –, die in der Antike die winzigen Dörfer verbanden und heute körperlich Aktiven als Wanderwege dienen. Statt der weissen Würfelarchitektur des Postkarten-Griechenland dominieren auf Kea Häuser aus Naturstein das Bild, die sich mit ziegelroten Dächern aufgeregt in die Landschaft einbetten. Zwei, drei kleine Supermärkte, einige wenige Apotheken, ein paar Autovermietungen mit Handschlagservice, ein Busservice ohne Fahrplan. Und wer das Meer mal aus den Augen zu verlieren wagt, findet sich im Inland plötzlich unter Bäumen – Kea ist für die grössten Eichenwälder der Kykladen bekannt – und zwischen wild wachsendem Thymian, Salbei und Oregano.

Und genau deren sanfter Duft begleitet mich, während ich mal mit, mal gegen den mal stärkeren, mal schwächeren Wind über die Insel streife – langsam und gemütlich, schlicht, weil sich alles andere falsch anfühlen würde. Wer hier irgendwo hinwill – sei es ins Hauptstädtchen Ioulida, zu einer kleinen Kapelle, einer versteckten Bucht oder zum antiken Löwenfels, dem Leon tis Keas –, braucht Zeit. Die meisten Wege auf Kea sind indirekt und vielleicht auch ein wenig unkomfortabel. Dafür wird, wer sie geht, fast immer belohnt: Auf Kea teilt man die Schönheit nicht mit Busladungen von anderen. Meist teilt man sie überhaupt nicht.

Doch trotz all dieser Ruhe und Bescheidenheit weht auf Kea seit Jüngstem ein sanftes Lüftchen der Veränderung. Die Anzahl der besagten wenigen, die überhaupt von der Insel wissen, dürfte sich in den vergangenen Monaten um ein Vielfaches multipliziert haben. Und ich schlafe in jenem Ort, aus dem diese Entwicklung ihren Ursprung nahm. Ausgangspunkt meiner Erkundungstouren ist nämlich das Resort One & Only Kéa Island, das am 1. Juni 2024 eröffnete erste – und noch immer einzige – Hotelresort auf der Insel. Diejenigen, die vor mir kamen, haben es als Windmühle des Wandels beschrieben oder als Einstiegspunkt in ein internationales Bewusstsein. Doch ich frage mich, wie viel Veränderung es bewirkt – es bewirken kann, es überhaupt bewirken will.

Denn Kea, so ist man sich unter den Einheimischen wie den Hotelbetreibern einig, lebt eben genau von der Absenz von Dingen, davon, dass von allem nicht wirklich mehr da ist, als es braucht. Das schätzt man hier. Und das will man beibehalten. Sämtliche weiteren Ketten und Grossanlagen, die versucht waren, auf Kea Land zu erwerben, wurden kategorisch abgelehnt und freundlich, aber bestimmt des Weges verwiesen. Wasserknappheit und eine ungewollte Veränderung des Ortsbilds sollen die offiziellen Gründe gewesen sein, und obwohl dies sicher Faktoren sind, die mitspielen, scheinen sie mir mehr Vorwand als effektives Entscheidungskriterium. Kea ist ein Ort des friedvollen Rückzuges und der gelebten Genügsamkeit. Und das, so ist man sich einig, soll so bleiben.

Während ich am Abend vor der Abreise meinen Koffer packe, wird mir bewusst, dass ich viel mehr mitgebracht habe, als eigentlich zu gebrauchen war. Denn Kea verlangt nach wenig – nach wenig mehr als Neugier, Gelassenheit und der Offenheit, die Dinge zu nehmen und zu schätzen, genau so, wie sie sind. Und so verlasse ich die Insel mit vielen sauberen Kleidern, ungetragenen Schuhen und trocken gebliebenen Bikinis. Aber Kopf und Seele voller Ruhe und Frieden. Wenn das nicht der wahre Luxus ist …

Check-in

One & Only Kéa Island Das 2024 eröffnete Luxusresort – jede der 63 Villen verfügt über einen privaten Infinity-Pool, eine Terrasse und Panoramablick auf die Ägäis – ist eine gelungene Verbindung aus modernem Luxus und klassisch-griechischer Gastfreundschaft, harmonisch eingebettet in die umliegende Natur. Ein besonderes Highlight sind der wunderschöne Spa und der coole Bond Beach Club. Villa ab Fr. 1800.–. oneandonlyresorts.com/kea-island

Kea Retreat Das familiengeführte Boutiqueretreat an der abgelegenen Psathi-Bucht bietet acht Suiten in restaurierten Steinhäusern. Küchenchef Uriel kocht mit Zutaten aus dem eigenen Gemüse- und Kräutergarten, tagsüber werden Yoga, Meditation, Atemarbeit, Klangheilung und ayurvedische Workshops angeboten. DZ ab CHF 500.–, ein Wochenretreat (6 Nächte) gibts ab Fr. 2300.–. kearetreat.com

Gourmet

Restaurant Steki Die familiengeführte Taverne im Herzen von Ioulida serviert seit über 35 Jahren traditionelle griechische Spezialitäten aus heimischen Zutaten – während der Sommermonate draussen auf der Terrasse mit Blick über die Insel. Tel. +30 22 880 220 88

Beachklub Eora Der täglich geöffnete Beachklub am Gialiskari-Strand ist nicht nur ein hervorragendes Plätzchen für einen romantischen Sundowner, sondern auch eine Topadresse für mediterrane Köstlichkeiten direkt am Wasser wie frische Meeresfrüchte oder Orzotto mit lokalen Kräutern. eorakea.com

Restaurant Aristos Das Menü der in den 1960er-Jahren eröffneten Taverne am Hafen von Vourkari umfasst klassische griechische Gerichte mit Schwerpunkt auf frischem Fisch und Meeresfrüchten. Genossen wird dies mit Blick aufs Meer und die dort ankernden Jachten. Tel. +30 22 880 214 75

Tyrakeion Der 2019 von den einheimischen Brüdern Alexandros und Yannis Mykoniatis gegründete Delikatessenladen am Dorfeingang von Ioulida bietet eine Vielzahl von köstlichen regionalen Milchprodukten und Käsesorten. Tel. +30 2288 022853

Kunst & Kultur

Atelier Alekos Fassianos Alekos Fassianos, der «Picasso Griechenlands», verliebte sich 1967 in die Insel und erwarb ein kleines Atelier, um dort die Sommermonate zu verbringen. Heute ist es, weitgehend unverändert und voller persönlicher Gegenstände des Künstlers, von Donnerstag bis Sonntag für Besucher geöffnet. alekosfassianos.gr

Karthea Die Ruinen der bedeutendsten antiken Stadt Keas befinden sich an der Südostküste der Insel und sind nur zu Fuss erreichbar. Neben den Überbleibseln eines Tempels des Apollo, eines Theaters, einer Agora und einer Stadtmauer mit Bastionen und Türmen trumpft die Stätte mit einem Traumausblick auf die Ägäis.

SIFNOS

Gäbe es für Reisezeiten so etwas wie einen Sweet Spot, einen optimalen Moment, um sie zu bereisen, so hätte Sifnos dieses Jahr eine Topplatzierung. Die Insel ist gerade populär genug, dass es eine Handvoll stilvoller Boutiquehotels gibt – aber noch so unbekannt, dass deren Zimmer, nebst diversen hübschen Airbnbs, grösstenteils erschwinglich und kurzfristig verfügbar sind. Sie ist gerade so gentrifiziert, dass die angesagteste Bar zum Sundowner spritzige Naturweine offeriert, und doch so ursprünglich, dass man die schönste Fischerbucht am nächsten Morgen praktisch für sich allein hat. Fast jeder Einheimische spricht gutes Englisch, aber die Herzlichkeit, mit der er Touristen empfängt, fühlt sich echt an. Kurz: Die Zeit, nach Sifnos zu reisen, ist jetzt.

Dass der Massentourismus der kykladischen Insel bisher ferngeblieben ist, erklärt Nikos Antimissaris, der mit seinem Bruder dieses Jahr das Boutiquehotel Stamna eröffnete, mit der Tatsache, dass die Anreise ein grösseres Commitment erfordert: Die Fähre von Athen braucht rund 2,5 Stunden; das Einwegticket kostet mit rund siebzig Franken pro Person mehr als das zu mancher Nachbarinsel. Sein Publikum beschreibt er als «sophisticated» – stilvoll, kultiviert, Verfechter des gediegenen Insellebens. Solche, die das Leise dem Lauten vorziehen, Qualität über Quantität. Sie wissen die Wohnaccessoires aus lokalen Ateliers, die seine Suiten schmücken, so zu schätzen wie die lokalen Süssigkeiten am sorgfältigen Frühstücksbuffet. Viele seiner Gäste sind Franzosen, Briten, Australier – oder wie er selbst: Griechen.

Auf Sifnos, dem 2600-Seelen-Kleinod in der Ägäis, ist der Inselalltag gesellig und geschmackvoll: Gefrühstückt wird auf der eigenen Terrasse oder mit Espresso freddo in der Hand an der Bar des «Vegeraki» in Apollonia. Vom zentralen Dorf inmitten der Insel gehts mit dem Auto oder Scooter weiter Richtung Meer. Zwanzig Minuten sind es zur ruhigen, idyllischen Fischerbucht Cheronissos im Norden der Insel; gleich lang zum felsig gelegenen Chrisopigi-Kloster im Südosten, wo das Wasser besonders hell leuchtet. Die Kirche ist eine von circa 235, die während der venezianischen und ottomanischen Herrschaft gebaut wurden, als die Ägäis mehrfach unter Bedrohung von Piraten stand. Wer die Treppen zu ihnen erklimmt – viele davon sind beliebte Wanderziele –, wird mit dem besten Ausblick über die herbe, hügelige Insellandschaft belohnt.

Zum Mittagessen setzt man sich typischerweise in eine beliebige Taverna am Wasser. Beim Schlemmen von Fischcrudo, griechischem Salat und lokalem Manourikäse sowie frittierten Sardellen mit Zitrone weht ein angenehmer Wind. Apropos Kulinarik: Sifnos geniesst gleich aus mehreren Gründen einen Ruf als Hotspot für Foodies. Der legendäre Koch Nikolaos Tselementes etwa wurde auf der Insel geboren und revolutionierte mit seinem 1926 erschienenen Kochbuch «Odigos Mageirikis» (Kochleitfaden) die Landesküche. Das weitere kulinarische Erbe hat seinen Ursprung im Boden der Insel: Sifnos ist reich an hochwertiger roter Tonerde. Mehr als 200 Töpferstudios fertigten einst traditionelle Kochtöpfe für Schmorgerichte wie Revithada (Kichererbseneintopf) oder Mastelo (Lamm im Dill-Wein-Sud). Bis heute sind zwanzig Werkstätten verblieben, alle mit individuellem Malstil.

Im Städtchen Kastro, das rund um die Spitze eines Hügels im Osten der Insel gebaut ist, interpretieren besonders zwei Gastronomiekonzepte traditionelle Rezepte neu. Inmitten von kykladisch weissen Häusern und gepflasterten Gehwegen findet man sich in der Naturwein- und Tapasbar Loggia wieder. Sie wurde von drei Freunden aus der Musikindustrie gegründet, und junge Saisonniers aus Schweden oder Athen schenken hier wortwörtlich «auf der Gasse» kühlen Orange Wine aus. Auf einer Steintreppe snackt man dazu Tarama oder Bohnenpüree mit Kuttelfisch und Fenchel.

Während sich der Himmel pastellig färbt, startet wiederum der erste Service im gegenüberliegenden Outdoorrestaurant Cantina. In einer kleinen Bucht, die nur zu Fuss erreichbar ist, serviert Giorgos Samoilis einen hyperlokalen Siebengänger mit minimalem Food-Waste. Der Hotspot knüpft nahtlos an den Erfolg seiner Fischbar Omega 3 an. Der Boden ist terrassiert, die Tische sind niedrig oder übergross, die Atmosphäre ist lässig und ungezwungen.

Ein wilderes Abendprogramm findet man auf Sifnos kaum. Beachklubs und Partys, wie man sie aus Mykonos oder Santorini kennt, sucht man vergebens. Ein Fixpunkt nach dem Essen ist einzig die Bar Botzi in Apollonia: Bei einem Absacker wie einem Shot Ouzo trifft man auf die Tischnachbarn vom Abend zuvor oder diejenigen, neben denen man sich Stunden vorher sonnte. Es ist eine nette Vertrautheit, die still verbindet und geprägt ist von der Hoffnung, dass die Zeit auf Sifnos stehen bleibt. Süsser wird es hier nicht mehr.

Check-in

Stamna Das neu eröffnete Designhotel ist nur wenige Gehminuten vom zentralen Apollonia entfernt, was es zum idealen Ausgangspunkt macht. Die Zimmer sind stylish minimalistisch, die Küche lokal, der Service ausgezeichnet. DZ ab Fr. 185.–, stamnasifnos.com

Verina Astra Die allein stehenden Suiten mit privaten Terrassen sind poetisch nach Sternenkonstellationen benannt. Das zugehörige Restaurant Bostani bedient auch externe Besucher und blickt wie das Spa auf das Kloster Poulati. DZ ab Fr. 260.–, verinahotelsifnos.com

Nos Das luxuriöse Refugium in Faros bietet achtzehn elegante Zimmer und Suiten, ein Restaurant mit Sharingkonzept, Spa sowie Weinkeller. DZ ab Fr. 305.–, stayatnos.com

Gourmet

Cantina Das gefragte Outdoorrestaurant erreicht man nur zu Fuss. Der fixe Siebengänger wechselt regelmässig, gekocht wird saisonal und nach Zero-Waste-Prinzip.cantinasifnos.gr

Cheronissos Fish Taverna In der kleinen, charmanten Fischerbucht Cheronissos im Norden der Insel kommt auf den Teller, was kurz zuvor geangelt wurde. Dazu gibts griechischen Salat mit lokalem Ziegenkäse. Tel. +30 22 840 331 19

Omega3 Die rustikale Beachbar serviert anspruchsvoll zubereiteten Fisch in allen Variationen und griechischen Wein. Die Calamari Cacio e pepe gelten als Signature-Dish. @omega3_sifnos

Loggia Wine Bar Die coole, dynamische Outdoorbar in Kastro ist der Place to be bei Sonnenuntergang. Nach einem Glas Naturwein und Tapas gehts ins gegenüberliegende Restaurant Cantina. @loggia_sifnos

Entdecken

Keramik Das Traditionshandwerk der Insel Sifnos wird heute noch in knapp zwanzig Werkstätten ausgeübt. Besonders sehenswert sind die Ateliers und Shops von Lembesis, Atsonios, Stoneware und I Dyskoli.

Kirchen Auf den 74 Quadratkilometern der Insel findet man rund 230 Kirchen – viele mit spektakulärer Aussicht. Die «Kirche der sieben Märtyrer» ist der Trendspot für den Sonnenaufgang, das Kloster Chrisopigi ein beliebter Badeplatz.