Ankommen auf Mustique ist kein gewöhnlicher Akt. Das Kleinflugzeug schaukelt, die Landebahn ist kurz, der Flughafen gerade mal eine Aneinanderreihung von Bungalows aus Bambus. Neben dem Ankunftsschalter erblicken wir Golfkarts – sogenannte Mules – und lachende Gesichter. Unter der goldenen Nachmittagssonne, mit dem Rauschen von Kokospalmen und Mangobäumen im Ohr, fühlt sich die Ankunft auf Mustique ein wenig so an wie das Ankommen bei Freunden: warmherzig, authentisch, entspannt.
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Mustique ist eine der diskretesten Inseln der Karibik: exklusiv, privat, luxuriös. Sie lebt von ihren illustren Protagonisten.
«Auf dieser Insel sind alle gleich», so der Satz, den man auf der Privatinsel in den Grenadinen zwischen St. Vincent und Grenada immer wieder hört. Übersetzt heisst das: Wer hier ankommt, lässt Alltag, Rang und Namen draussen. Auf Mustique gibt es weder Ampeln noch Barrieren – oder Privatjets. Hier, auf der Landebahn inmitten des Eilands, ist nur die inseleigene Air Adelphi zugelassen. Nicht selten sitzt man als Passagier im Achtzehnplätzer neben einem Rockstar oder einem Royal.
David Bowie, Tommy Hilfiger, Bryan Adams oder die englische Königsfamilie: Seit den Siebzigerjahren wird Mustique stets in einem Atemzug mit ihren hochkarätigen Protagonisten genannt, die der Insel Leben einhauchen. Es ist der Ort, wo Musiker, Schauspieler und Modedesigner in der legendären Basil’s Bar barfuss zu Livemusik tanzen, Fischtacos schlemmen und Piñas coladas schlürfen. Wo Slim Aarons manche seiner ikonischsten Sujets knipste. Wo Bryan Adams gegen Robbie Williams Backgammon spielt und einem Harry Styles im Gym begegnet. Das Soho House unter den karibischen Inseln quasi.
Auf das winzige Paradies inmitten des Atlantiks Fuss zu setzen, braucht das richtige Portemonnaie, aber auch Glück – und etwas Geduld. Die Buchung einer Unterkunft – von insgesamt 110 Villen werden 84 vermietet – erfolgt nämlich nicht per Klick, sondern per Korrespondenz. «Auf Mustique nehmen wir uns bewusst Zeit, um uns vorab mit neuen Gästen auseinanderzusetzen», so Emilie Polastron, General Manager des Cotton House, des einzigen Hotels der Insel. Die Klubanlage mit siebzehn Zimmern und Suiten, zwei Restaurants, Spa und Wassersportzentrum beherbergt vor allem Inselneulinge. Und sie agiert in enger Absprache mit der Mustique Company, der offiziellen Besitzerin der Insel, die sich aus einem Konsortium von Einwohnern zusammensetzt, die das gesamte Geschehen samt Infrastruktur, Villen und Sicherheit übersieht. Erstanfragen beantworte sie langsam und mit Bedacht, so Polastron. «Das funktioniert bereits wie ein erstes Filtersystem, das Hinweise gibt über Bedürfnisse und Wertvorstellungen der neuen Gäste.» Wer nicht zur bestehenden Community passt, Paparazzo sein könnte oder proletenhaft klotzt, wird freundlich zurückgewiesen. Auf Mustique bedeutet Luxus nicht Zugang, sondern Abgrenzung.
Um zu verstehen, wie sich die knapp 5 Kilometer lange und 2,5 Kilo-meter breite Insel mit Bilderbuchstränden als Zufluchtsort der Reichen und Schönen etablierte, muss man in ihre Vergangenheit blicken. In die Jahre um 1960 nämlich, als der britische Aristokrat und Erbe eines Zuckerimperiums, Colin Tennant (später Lord Glenconner) seine enge Freundin, Prinzessin Margaret aus dem Hause Windsor, zur Hochzeit mit einem Grundstück an der Südspitze der Insel beschenkte. Er hatte Mustique wenige Jahre zuvor für den symbolischen Preis von 45 000 Pfund erworben – damals ein unerschlossenes, bewachsenes Fleckchen Erde ohne Strassen, Strom oder Hafen. Tennant sah, was andere übersehen hatten: das Potenzial für ein neues Gesellschaftsmodell, eine Art tropischen Rückzugsort für Gleichgesinnte. Margaret engagierte den britischen Architekten und Modeschöpfer Oliver Messel mit dem Bau ihrer Villa Les Jolies Eaux. Er baute ein Anwesen im neogeorgischen Stil mit fünf Schlafzimmern, Esspavillon, Pool und Meerblick rundum. Hier fand sie fortan Zuflucht vor der britischen Öffentlichkeit – und eine Kulisse für glamouröse Cocktail- und Kostümpartys, wo Aristokratie und Boheme verschmolzen. Sie feierte ohne königliche Aufsicht, dafür mit schillernder Garderobe und viel britischem Humor – und einer Gästeschar, die so farbenfroh war wie ihre Outfits. Die ersten Bausteine für Mustiques Transformation waren gelegt: Die unbewohnte Insel verwandelte sich langsam, aber stetig in einen glitzrigen Mikrokosmos.
Das Gemeinschaftsgefühl als DNA ist auch heute, sechs Dekaden später, allgegenwärtig: Reist man nach Mustique, verschreibt man sich still der Teilnahme am regulären Inselprogramm. Die sozialen Fixpunkte? Ein Konzert, Wine-Tasting oder Unterhaltung aller Art am Montag, Cocktails in der Great Room Bar des Cotton House am Dienstag, das Jump-up-Dinner mit Livemusik in der Basil’s Bar am Mittwoch, Backgammon oder Tacos und Tequilas am Donnerstag. Apropos «Basil’s»: Die Bar von Basil Charles, 1976 gegründet und 2018 von Philippe Starck renoviert, ist das soziale Zentrum der Insel, der Eigentümer eine Ikone. «Sie ist mehr als nur eine Bar – sie ist ein einzigartiger Ort der Begegnung und der gemeinsamen Erinnerungen mit einer ganz eigenen Seele», so der Franzose Starck, der seinen Auftrag, die unprätentiöse Bar auf Holzstelzen aufzuhübschen, als «politischen, ethischen, subversiven, ökologischen und unterhaltsamen» Akt verstand. Tatsächlich tanzt bei Basil die Achtzigjährige mit dem Achtzehnjährigen übers Parkett; tatsächlich begegnen wir mittwochs Mick Jagger an der Bar. Und tatsächlich scheint der Rest der Welt hier, im Schein der Discokugel unter freiem Himmel und mit Rum-Punsch in der Hand, wie vergessen.
«Mustique macht das innere Kind glücklich», so eine wiederkehrende Urlaubsgästin bei der Fahrt zur morgendlichen Yogasession am Strand. «Im Mule fühlt sich jeder ein wenig wie Robinson Crusoe.» Wir brettern vorbei an Tennisplätzen und am Reitstall, dann an einer Handvoll Shops, die sich hinter pinken und violetten Hausfassaden verbergen, und einem Früchtestand. Aber eben auch an einer Primarschule, einer Bibliothek sowie einer kleinen Siedlung, wo Arbeiter und ihre Familien leben – oft als Zweitwohnsitz, neben ihrem eigentlichen Zuhause auf St. Vincent. Auf Mustique kochen oder gärtnern sie als Teil der Equipen, die zum Service jeder Villa gehören, kümmern sich liebevoll um die Anwesen, die Namen wie «Mandalay» (ehemaliger Hausherr: David Bowie), «Palm Beach» (Tommy Hilfiger), «Full Moon» oder «Yemanjá» tragen. Erstaunlich: Es gibt weder Gates noch verschlossene Türen, fast überall kann hereinspaziert werden. Der Austausch von Besitzern, Mietern und dem Villa-Team ist immer respektvoll, ja fürsorglich: Nach dem Tropensturm Beryl 2024 flogen die Mitglieder des Umwelt-komitees unter Bryan Adams etwa persönlich auf die Insel, um vor Ort anzupacken und finanzielle Hilfe zu leisten. Mustique ist für seine Bewohner, das wird mit jeder Anekdote klarer, nicht nur eine Destination, sondern eine Herzensangelegenheit.
Vielleicht ist es das, was die Insel so besonders macht: ihr feines Paradox. Sie ist exklusiv, aber sie erdet. Sie bietet irgendwie alles – und doch nichts, was einen an das Leben zu Hause erinnert. Hier klebt keiner am Handy, hier knipst kaum jemand Fotos. Es bedarf keiner Bodyguards und keiner Birkin-Bags als Statussymbol. Es gibt ein Restaurant, ein Lunch-Café, eine Bar, eine Boutique und ein Lebensmittelgeschäft. Der wahre Luxus: keine Entscheidungen treffen zu müssen. In einer Welt, in der für alle – besonders aber für die Gäste von Mustique – alles und jederzeit verfügbar ist, ist dies vielleicht der letzte Ort, der sich allem entzieht. Und der die Chance gibt auf eine Normalität, die man sonst nirgends mehr findet. Wie eine kleine Bühne, auf der niemand spielt.