Leerstehendes Hotel wird zu urbanem Coliving

Das ehemalige Hotel X-TRA am Zürcher Limmatplatz wurde zu einer Riesen-WG umgebaut. Coliving nennt man das. Entstanden sind drei Etagen mit 35 Zimmern im urban-industriellen Stil.

TomoDomo X-TRA

Wo einst geschäftiges Treiben herrschte, findet man heute eine verlassene Lobby vor: Das X-TRA musste wegen Corona vor mehr als einem Jahr den Hotelbetrieb schliessen. Doch der Schein trügt, denn in den oberen Geschossen ist immer noch was los. Das ehemalige Hotel wurde zu einem Coliving-Haus mit 35 Zimmern umfunktioniert. Auf den Stockwerken findet sich jeweils ein geteilter Wohnbereich mit Küche.

Unter dem Namen TomoDomo haucht ein junges Start-up Hotels, die der Krise zum Opfer gefallen sind, neues Leben ein. Das X-TRA ist bereits das dritte Hotel, das zu einem Coliving-Haus umfunktioniert wurde. Im vergangenen Oktober öffnete das Domo Vuelo und im April darauf dann das Domo Tenna, beide in Kloten ZH. «Bald kommt ein viertes Gebäude am Central hinzu – mit nochmals 60 Zimmern», sagt Tomo-Domo-Gründer Johannes Peter (35).

Der Unternehmer lebt selbst in einem Coliving-Haus. Zusammen mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter teilt er sich eine Stadtvilla im Zürcher Stadtteil Enge mit Freunden. Peter ist erst seit einem Jahr zurück in der Schweiz, davor lebte er mit seiner Frau in San Francisco, wo das Paar ebenfalls in einem Coliving-Haus wohnte. «Mir sagte diese Wohnform sofort zu und eine neue Businessidee war geboren.» Den Namen überlegte sich der 35-Jährige noch in den USA: «‹TomoDomo› stammt aus dem Japanischen und bedeutet ‹zusammen›.»

Das Coliving-Business läuft gut, wie Peter bestätigt. «Das Domo X-TRA ist nun seit zwei Monaten offen und wir haben bereits die volle Auslastung erreicht.» In den Augen des Jungunternehmers ist Coliving eine Wohnform der Zukunft: «Es ist natürlich nachhaltiger, da es sich um ein verdichtetes Wohnen handelt.» Mehr Leute teilen sich den Raum, anstatt dass jeder alleine in einer grossen Wohnung lebt. Dementsprechend würde sich das natürlich auch im Preis zeigen: «Bei uns erhält man bereits ab 995 Franken pro Monat ein ansprechendes Zimmer, und das inmitten der Stadt. Dies ist wesentlich erschwinglicher als eine eigene Wohnung.»

Auch für die Besitzer der verwaisten Immobilien ist das Coliving attraktiv: «Die Investitionen sind überschaubar und konzentrieren sich auf die gemeinsamen Küchen und Gemeinschaftsräume. Innert Monaten beleben wir das Gebäude neu und erwirtschaften Erträge. Dies ist finanziell attraktiver, anstatt einzelne Zimmer zu Studios umzubauen oder die Krise auszusitzen.»

Und Peter glaubt, dass Mensch einfach immer mobiler sein wollen. Personen, die viel reisen, mal hier und mal dort leben, legen Wert darauf, zentral zu wohnen und coole Erfahrungen zu sammeln: «Man will kein grosses Behabnis, sondern flexibel sein können, aber sich dennoch zu Hause fühlen.»

Das TomoDomo-Team hat in Zusammenarbeit mit dem X-TRA-Team und der Designerin Corinne Jolliet (28) ein heimeliges Zuhause für die Bewohnerinnen und Bewohner geschaffen. «Uns war es wichtig, dass die Räumlichkeiten wohnlich und funktional gestaltet werden, die Einrichtung aber auch die Philosophie des X-TRA widerspiegelt», erklärt die 28-Jährige. Im Fokus stand, den Leuten die Liebe zur Musik näherzubringen und dennoch einen Wohlfühlort zu gestalten.

Lampen aus alten Schallplatten, grossformatige Konzertfotografien und ein begrüntes Flightcase vermitteln das Gefühl der Eventlocation. «Mir war extrem wichtig, auf die Räumlichkeiten einzugehen und vorhandene Elemente zu integrieren. Das X-TRA hatte zum Glück viele tolle Objekte vor Ort und ein Team, das mit viel Engagement und Herzblut eigene Kreationen angefertigte.»

Die Coliving-Räume sind vorwiegend mit Second-Hand-Stücken und selbst gebauten Eigenkreationen aus dem X-TRA ausgestattet, wie Jolliet erklärt. «Wir hatten einen kleinen Bus und sind von Brocki zu Brocki. In meinen Augen ist es einfach charakteristischer, wenn man ein Sofa aus Echtleder mit Patina hat, als dass man ein massenproduziertes Möbelstück reinstellt.» Dies sei mitunter sicher etwas, was sich durch alle Projekte der Designerin zieht, da sie selbst auch so lebe.

Das ganze Projekt liegt Jolliet sehr am Herzen, da es für sie extrem spannend war, dass man sich mit Wohnformen auseinandersetzt und gegebene Räumlichkeiten umnutzt. «Man muss nicht immer alles so machen, wie es immer angedacht war – man darf ruhig auch mal neu- und umdenken!»

Die Zusammenarbeit mit dem X-TRA-Team war für die Designerin unvergesslich: «Sie haben extrem viel Liebe reingesteckt und unglaublich viel Eigeninitiative gezeigt.»

Auch Peter lobt den Effort des Teams: «Sie haben extrem viel Herzblut in das Projekt reingesteckt.» So hätten sie sich unter anderem selbst um die Abbrucharbeiten, das Verlegen der Böden, das Zusammenbauen der Küche oder das Streichen der Wände gekümmert. Und weiter meint der TomoDomo-Gründer: «Anstatt Däumchen zu drehen, nahm das X-TRA das Zepter in die Hand und machte etwas aus der schwierigen Situation, in welcher es sich befand.» Aus einer Notlage entstand laut Peter etwas schönes Neues, das ihnen und auch anderen viel Freude bringt.

Das neue Angebot schätzt auch Anjalee Shah (29) sehr. Die Inderin, die im vergangenen Jahr für ihren Master in Business Administration nach London zog und nun zehn Wochen ein Praktikum bei der Credit Suisse in Zürich macht, fühlt sich rundum wohl im Domo X-TRA. «Wenn du in eine neue Stadt ziehst, ist es nicht immer einfach, Anschluss zu finden. Aber hier kommst du an, hast eine Menge neue Mitbewohner aus allen Ecken der Welt und du fühlst dich einfach willkommen und aufgenommen.»

Für Simon Moser (39), der Anfang Juni im Coliving eingezogen ist, macht es der Mix aus Privatsphäre und dennoch Kontakt mit Leuten. «Man hat vielmehr Anonymität als in einer Wohngemeinschaft, aber findet trotzdem gleich Anschluss in einer neuen Stadt.»

Der Berner kam für einen Tapetenwechsel nach Zürich. Dass der Platz in einem Coliving-Zimmer eher begrenzt ist, stört Moser nicht. Er lebe im Moment sowieso eher minimalisitisch. «Ich bin so viel glücklicher, mache mir nicht viel Gedanken um Dinge», sagt der SBB-Projektleiter und zitiert aus dem Film «Fight Club» (1999): «The things you own, they end up owning you.»

Während die meisten in den exakt selben Zimmern wohnen, hat Manuel Köck (32) seinem Zimmer eine persönliche Note verliehen. Er hat die Wände gestrichen und eigene Kunst aufgehängt: «Für mich funktioniert das Ganze auch nur deshalb, weil mir erlaubt wurde, mich im Zimmer kreativ auszuleben.» Nur in einer Art Hotelzimmer zu leben, das hätte Köck nicht gekonnt, wie er sagt. «Ich bin jemand, der gern nestet.»

Die Zustimmung für seine Änderungen musste er vorab bei Johannes Peter einholen. Weil das Zimmer noch unrenoviert war, konnte er seine Vorstellungen dann umsetzen.

Ursprünglich stammt Köck aus Tirol, mit 18 zog es ihn nach Wien. Jetzt lebt er seit drei Jahren in Zürich, wo er vorher in einer 90 Quadratmeter grossen Wohnung wohnte. Fürs engere Coliving hat er sich entschieden, weil er wieder mehr unter Leute wollte: «Ich bin schon seit Ende 2019 im Homeoffice. Führte meine eigene Recruiting-Firma – ohne Mitarbeiter. Ich war einfach sehr alleine im vergangenen Jahr, obwohl ich natürlich auch meine Freunde immer wieder getroffen habe.» Im X-TRA lebt er erst seit kurzem, hofft aber auf eine Zeit mit vielen spannenden Begegnungen.

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