Sabine Marcelis’ Designs sorgen für gute Laune

Möbel wie Marshmallows

Ihre Entwürfe gleichen Zuckerwatte, ohne den Süsseschock. Die Niederländerin Sabine Marcelis zählt zu den gefragtesten Designern unserer Zeit.

Niederländische Designerin Sabine Marcelis

Draussen kreischen die Möwen, drinnen brummen die Bässe. Laute Technomusik hallt durch die Industriehalle im Merwehaven im Westen Rotterdams (NL). Junge Männer mit Schutzbrillen schleifen pastellfarbene Platten aus Kunstharz zurecht, die Füsse wippen im Takt der Elektrobeats. «Die Discoatmosphäre herrscht nur freitags», sagt Sabine Marcelis (36) und lacht, wie noch oft im Laufe des Gesprächs. Sie hat allen Grund dazu: Seitdem sie die renommierte Design Academy Eindhoven absolviert hat, stehen Luxuslabels und Galerien Schlange, um mit der 36-Jährigen zu kooperieren. Installationen für Fendi, Ladeneinrichtungen für Celine, Burberry oder Repossi – Marcelis’ Entwürfe aus Glas, Kunstharz und Licht spiegeln, leuchten und reflektieren, maändern an der Grenze zu Kunst. Nicht verwunderlich also, dass sie auch an einer Kunsthochschule wie der Ecal in Lausanne lehrt. Vor zwei Jahren wurde die Niederländerin, die in Neuseeland aufwuchs, vom Magazin «Wallpaper» zur Designerin des Jahres gekürt – und gerade hat Vitra angeklopft.

Bolero: Ihr Coloured Candy Cube wurde soeben in die Sammlung des Vitra Design Museum aufgenommen. Gleicht das einem Ritterschlag?

Sabine Marcelis: Absolut, es ist ein Meilenstein. Das ganze Team hat gejubelt, als der Anruf kam. Was ich besonders schön finde: Es handelt sich nicht um einen Stuhl, sondern um ein nicht definiertes Objekt. Vitra sieht wohl einen Stuhl in ihm, weil der Grossteil der Sammlung aus Stühlen besteht – aber ursprünglich habe ich den Kubus als Ausstellungsfläche für die Celine-Stores entworfen. Auf ihm wurden Handtaschen und Schuhe präsentiert. Es ist toll, dass er ein Eigenleben entwickelt hat. Die neuseeländische Popsängerin Lorde hat ihn vor Kurzem für die Performances auf ihrer Welttournee eingesetzt. Ich liebe es, dass er Spielraum für Interpretationen lässt.

Sie haben bei Vitra gleich auch noch Schlüsselwerke des Schaudepots neu in Szene gesetzt.

Ja, über die Anfrage von Mateo Kries, dem Direktor des Vitra Design Museum, habe ich mich besonders gefreut, da wir ja keine Ausstellungsspezialisten sind. Das Schaudepot präsentiert die Objekte normalerweise in chronologischer Reihenfolge. Ich wollte einen neuen Blick auf die Designgeschichte werfen. Wir haben die Sammlung nach Farben geordnet. Dadurch entstehen spannende neue Gruppen von Objekten, die normalerweise nicht nebeneinander präsentiert würden. Wir hatten die Freiheit, etwas zu tun, was wir noch nie gemacht haben. Uns wurde Vertrauen geschenkt, das ist sehr schön.

Einen Ihrer Candy Cubes haben Sie der Organisation International Rescue Committee gespendet. Mit dem Versteigerungserlös werden flüchtende Menschen aus der Ukraine unterstützt. Kann Design die Welt zu einem besseren Ort machen?

Ich glaube, wenn man helfen kann, sollte man es mit dem machen, womit man sich auskennt. Ich bin keine Ärztin, ich kann keine verwundeten Zivilisten verarzten. Aber ich habe eine gewisse Reichweite auf Social Media, und wenn ich meine Arbeit nutzen kann, um damit finanzielle Unterstützung zu generieren, ist das toll. Viele Leute haben das getan. Abgesehen davon ist der emotionale Wert von Design sehr wichtig. Ich ermögliche den Leuten, zu träumen. Das Leben ist sehr traurig ohne Funken, die etwas entfachen, die Neugierde wecken. Das betrachte ich als einen Aspekt meiner Arbeit. In diesem Sinne macht sie die Welt vielleicht ein klitzekleines bisschen besser (schmunzelt).

Ihre Designs wirken wie ein Gute-Laune-Booster. Ist Optimismus ein Kriterium, wenn Sie entwerfen?

Ich glaube, jeder Designer bringt etwas von der eigenen Persönlichkeit in seine Entwürfe mit ein. Ich betrachte mich selbst als einen positiven Menschen. Ich bin sehr stolz auf mein Team und die schöne Arbeitsatmosphäre in unserem Studio. Ich glaube, das spiegelt sich in der Arbeit wider. Wir haben Spass. Das ist mir wichtig, weil mein Leben sehr verwoben ist mit meiner Arbeit. Ich möchte mit meinen Stücken Wärme in das Zuhause der Menschen bringen.

Betrachten Sie Ihre Arbeit als Design oder Kunst?

Sie tänzelt dazwischen – meine Arbeit ist nicht vollständig Kunst und nicht vollständig Design. Aber definitiv eher Design als Kunst, auf dem Gebiet wurde ich schliesslich ausgebildet. Nehmen wir diesen Tisch: Er hat die richtige Höhe, man weiss, wie viele Leute an ihm Platz nehmen können. Aber das Spannendste an ihm ist für mich, wie sich das Material anfühlt, wie das Licht an den Ecken durchscheint. Ich würde sagen, ich kreiere Design mit einer künstlerischen Note.

Braucht Design immer eine Funktion?

Ja, ich würde nie einen Stuhl entwerfen, auf dem man nicht sitzen kann. Wir haben einen Coffee-Table aus Marmor in Form eines Blocks. Als Stück ist er recht anonym. Wenn man ihn neben ein Sofa stellt, ist er ein Coffee-Table, aber in einem leeren Raum wirkt er wie eine Skulptur. Ich mag diese Dualität. Dass nicht eindeutig ist, um was es sich handelt. Genau wie mit diesem Spiegel: Wenn man ihn ins Museum hängt, ist er Kunst. Im Badezimmer ist er ein Spiegel.

«Etwas zu perfektionieren, ist nicht einfach, und das sollte es auch nicht sein.» – Sabine Marcelis, Designerin

Wirkt die Realität erträglicher, wenn man in Ihre farbigen Spiegel schaut?

Ich glaube, wenn man einen schlechten Tag hat, hilft es – die warme Tönung lässt dich etwas gesünder aussehen (lacht).

Sie werden oft mit Lichtkünstlern wie James Turrell oder Dan Flavin verglichen. Ist das ein Kompliment, oder möchten Sie lieber als eigenständige Designerin wahrgenommen werden?

Natürlich, das ist eine grosse Ehre. James Turrell, Helen Pashgian und De Wain Valentine sind die Gründer des Light Movement und haben als Erste Licht als Material eingesetzt. Sie haben den Weg dafür geebnet, wie auch ich Design denke. Vor ein paar Jahren haben mein Freund und ich einen Roadtrip durch Kalifornien gemacht. In L.A. haben wir die Residenz von James Goldstein besichtigt. Die Dame, die uns herumführte, fragte, ob wir die James-Turrell-Installation sehen wollten. Natürlich wollten wir! Man liegt auf einer Matratze, und in der Betonstruktur an der Decke gibt es Öffnungen mit einer Lichtshow. Ich habe gedacht: Wow, das möchte ich auch tun, wenn ich älter bin, Erlebnisse für Leute kreieren.

Schaffen Sie deshalb optische Illusionen?

Ich mag faszinierende Effekte, Dinge, bei denen ich mich frage: Wie zum Teufel funktioniert das? Neulich war ich in einem Museumsshop, und da gab es diese Wackelbilderkarten. Wenn man sie leicht bewegt, verändert sich das Bild. Solche Dinge machen Spass. Ich würde wahnsinnig gern mit dieser Technologie etwas im grossen Rahmen machen. Ich bin wie einer dieser Vögel, die sich auf funkelnde Diamanten stürzen (lacht). Wenn etwas meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, überlege ich mir, wie ich es in Design einbauen könnte.

«Jedes Projekt, das ich annehme, ist eine Möglichkeit, eine Grenze zu überschreiten.» – Sabine Marcelis, Designerin

Sie haben einmal gesagt, dass Sie ein ausgeprägtes Schwarz-Weiss-Denken haben. Wie passt das zu Ihren farbigen, geradezu poetischen Entwürfen?

Wenn ich etwas mache, dann ganz oder gar nicht. Ich benutze Farbe als Werkzeug, mit dem ich entwerfe. Farben schaffen so viele Möglichkeiten, man kann sie mischen, mit ihnen unterschiedliche Tiefen erzeugen. Darauf ziele ich immer ab: tolle Effekte mittels Farbe zu kreieren. Wenn ich darüber nachdenke: Ich glaube, ich habe noch nie etwas Schwarzes entworfen. Aber in meinem Alltag trage ich sehr viel Schwarz und Weiss, ganz wenig Farbe. Ich habe meine Uniform – dafür tobe ich mich bei meiner Arbeit und in meinem Zuhause aus (lacht).

Wonach wählen Sie Ihre Kooperationen aus?

Das Wichtigste ist für mich, dass ich kreative Freiheit habe. Wir bekommen sehr viele Anfragen, aber die überwiegende Mehrheit lehne ich ab. Meistens sehen die Leute etwas und wollen genau dasselbe, nur mit ihrem Markennamen drauf. Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, Dinge neu zu denken, interessieren sie mich nicht. Ich bin Designerin, weil ich wahnsinnig neugierig bin. Ich liebe Materialien und wie sie miteinander interagieren. Jedes Projekt, das ich annehme, ist eine Möglichkeit, eine Grenze zu überschreiten. Ich möchte nicht einfach ohne Grund Dinge in die Welt setzen. Das ist mir sehr wichtig, es gibt schon so viele Dinge in der Welt. Wenn man mit einer Marke kooperiert, sollte es einen Mehrwert haben. Und ich möchte mit netten Menschen zusammenarbeiten. Beim ersten Treffen bekommt man schon einen guten Eindruck, mit wem man es zu tun hat. Ich habe gelernt, Nein zu sagen, wenn es nicht klickt. Ich habe sehr lange dafür gebraucht. Nein zu sagen, ist eine Fähigkeit, die man lernen muss.

Ihre Mutter war Sprachtherapeutin – kommunizieren Sie mit Design?

Ja, absolut! Design ist der Schlüssel für eine gute Kommunikation.

Im Alter von sechzehn bis einundzwanzig waren Sie Snowboarderin auf Leistungssportniveau. Warum haben Sie aufgehört?

An einem bestimmten Punkt habe ich gemerkt, dass es für mich keine richtige Karriere ist beziehungsweise dass es nichts ist, mit dem ich auf Dauer Geld verdienen kann. Ich hatte einen Blinddarmdurchbruch, nach der Operation lag ich lange im Krankenhaus und hatte eine Krise. Ich habe mich gefragt: Was stelle ich mit meinem Leben an? Hier kam wieder mein Schwarz-Weiss-Denken ins Spiel. Und so habe ich mit dem Snowboarden aufgehört. Ich stand sieben Jahre lang nicht ein einziges Mal auf dem Brett. Es war wie ein kalter Entzug. Nachdem ich mit einundzwanzig Jahren angefangen habe, Design zu studieren, hat sich mein gesamter Fokus dahin verschoben.

Inwieweit hat Ihre Karriere als Snowboarderin Einfluss auf Ihre heutige Arbeit als Designerin?

Oberhalb der Wolken zu sein, ist immer noch etwas, was mich extrem inspiriert. Wir haben hier in Rotterdam tolle Sonnenuntergänge, die Farben entdeckt man auch in meiner Arbeit. Aber über den Wolken gibt es ein ganz anderes Zusammenspiel, wenn die Wolken mit dem Sonnenlicht und dem Schnee zusammentreffen. Und dann ganz sicher Hartnäckigkeit. Ich habe es nicht in mir aufzugeben. Ich glaube, das ist sehr wichtig für die Art und Weise, wie ich arbeite. Wenn ich eine bestimmte Idee habe und der Hersteller sagt «No way», dann sage ich: «Come on, lass uns versuchen, es hinzukriegen.» In dieser Hinsicht bin ich sehr unnachgiebig. Ich glaube, dieser Charakterzug entwickelt sich, wenn man Sport auf einem hohen Niveau betrieben hat. Während meiner Zeit als Snowboarderin habe ich manchmal den ganzen Tag damit verbracht, einen einzigen Trick zu üben, wieder und wieder und wieder. Du analysierst ständig und bist damit beschäftigt, Probleme zu lösen. So ist es auch bei meiner Arbeit. Etwas zu perfektionieren, ist nicht einfach, und das sollte es auch nicht sein. Dann könnten es viele Leute, und es wäre nichts Besonderes mehr.

Info:

«Farbrausch. Eine Installation von Sabine Marcelis» ist bis zum 14. Mai 2023 im Vitra Schaudepot in Weil am Rhein (D) zu sehen.

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