Secondhand in der Pole-Position

Lange wurde der Resale–Markt von Luxusbrands verschmäht. Nicht zuletzt die Pandemie hat sie zum Umdenken gezwungen.

Secondhand, Print

Es ist noch nicht lange her, da fristete das Geschäft mit Luxus-Secondhand ein Schattendasein. Viel zu undurchsichtig schien dieser Markt, über den die Brands keine Kontrolle hatten. Zwar zeigte der zunehmende Erfolg von internationalen Verkaufsplattformen wie Vestiaire Collective oder The Real Real, wie viel Potenzial im Wiederverkauf getragener Mode steckt. Doch Firsthand und Secondhand waren zwei separate, sich konkurrenzierende Märkte, die keine Synergien nutzten.

Doch seit einiger Zeit befindet sich die Modebranche in einer Transformation. Denn eins ist mittlerweile klar: Unser Konsumverhalten und mit ihm die Fashion-Industrie, die rund zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortet, müssen sich verändern. Das Leben von bereits produzierter Kleidung und Accessoires zu verlängern, ist ein effektiver Ansatz, um Ressourcen zu schonen und die Abfallproduktion zu minimieren.

Auch Investoren haben den Paradigmenwechsel bemerkt. Vestiaire Collective hat im Frühling 2021 eine 178-Millionen-Euro-Finanzierungsrunde abgeschlossen. Unter den Investoren ist auch der Luxuskonzern Kering, dem Marken wie Gucci, Balenciaga oder Bottega Veneta gehören. Fanny Moizant, Mitgründerin von Vestiaire Collective, glaubt, dass der Resale-Markt das Potenzial hat, die gesamte Branche zu verändern. «Je grösser der Anteil des Resale-Marktes wird, desto mehr sollten die Marken die Produktion neuer Artikel reduzieren können», erklärt sie. Dass auch die Lables selbst langsam umdenken, zeigt das Beispiel Alexander McQueen. Die Marke nimmt von Kunden getragene Stücke gegen einen Gutschein zurück und verkauft sie auf Vestiaire Collective mit einem «Brand Approved»-Label weiter. Grégory Boutté, Chief Client und Digital Officer bei Kering, erklärt, warum das Modell attraktiv ist: «Wenn Sie Ihre Stücke zu McQueen zurückbringen, nutzen Sie die Gutschrift, um die neue Kollektion zu shoppen. Je mehr Sie das tun, desto verbundener sind Sie mit der Marke und desto eher investieren Sie wieder in hochwertige Stücke, die mehrere Leben haben können.» Boutté ist überzeugt, dass in fünf bis zehn Jahren jede Luxusmarke einen Rückkauf-Service anbietet.

Die Bereitschaft, Secondhand zu kaufen, steigt auch in der Schweiz, wenn im internationalen Vergleich auch zögerlich. Secondhand-Boutiquen gibt es zahlreich in jeder grösseren Stadt, sie ziehen jedoch oft nur ein spezifisch an Secondhand interessiertes Publikum an. Auf eine grössere Kundschaft und damit auch auf ein Umdenken in der breiten Gesellschaft zielt die Kooperation vom Zürcher Warenhaus Jelmoli mit dem High-End-Secondhand-Unternehmen Reawake ab. Seit Anfang 2020 ist der Resale-Experte mit einem Shop im Shop im grössten Schweizer Warenhaus präsent. Ein weiterer wird Ende September im Kaufhaus Loeb in Bern eröffnet. «Viele Kunden sind positiv überrascht, dass die meisten unserer Schätze wie neu aussehen. Dank der Kooperation mit etablierten Warenhäusern können wir Menschen erreichen, die Vorbehalte gegenüber Secondhand hatten und ohne uns nicht damit in Berührung gekommen wären», so Rea Bill, Gründerin von Reawake.

Neben dem erhöhten Umwelt- und Konsumbewusstsein ist auch der Preis ein relevanter Grund, warum jemand aus zweiter Hand kauft. Dank Secondhand werden Designerteile in der Regel für mehr Menschen bezahlbar. Jedoch nicht immer: Je nach Marke oder Kollektion können Resale-Preise diejenigen des Erstverkaufs gar übersteigen. Das Aufspüren begehrter Einzelstücke gibt vielen Käufern einen zusätzlichen Kick. Eine stetig wachsende Anzahl an Plattformen führt dazu, dass mehr und mehr Menschen ihre getragenen Sachen online zum Kauf anbieten, dass das Angebot immer umfangreicher und attraktiver wird. In seinem «2021 Resale Report» prognostiziert das amerikanische Re-Commerce-Unternehmen Thredup, dass das Marktvolumen von Secondhand sich in den nächsten fünf Jahren verdoppeln wird.

Doch das Secondhand-Geschäft birgt auch Herausforderungen. Sogar die Big Player im Business haben trotz grossen Umsätzen Mühe, Gewinne zu erzielen. Verantwortlich dafür sind hohe Betriebskosten. Arbeiten wie Authentifizierung, Preissetzung oder das Fotografieren und Beschreiben für Online-Verkaufskanäle sind aufwendig. Da bei Secondhand jedes Stück ein Unikat ist, können diese nur bedingt standardisiert werden und verlangen Erfahrung und Expertise. Für Brands ist es meist sinnvoller, mit existierenden Plattformen zusammenzuarbeiten, anstatt ihre eigenen Kanäle aufzubauen. Zurzeit entstehen mehr und mehr Business-to-Business-Angebote, die Modehäusern dabei helfen, das Resale-Geschehen ihrer Produkte zu verfolgen. Eines der wichtigsten Tools dafür ist das Daten-Management. Das Start-up Archivist etwa macht es für Brands möglich, die Resale-Aktivitäten ihrer Produkte von 150 verschiedenen Online-Plattformen zu tracken. Solche Informationen liefern etwa Erkenntnisse darüber, wie sich der Wert spezifischer Stücke über die Zeit entwickelt. Dieses Wissen wiederum kann in das Design neuer Kollektionen einfliessen – nur ein Beispiel dafür, wie sich der Kreis von First- und Secondhand schliesst.

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