Cassidy Toner im Kunstmuseum Basel

Gekonnt daneben

Zwischen Bedeutung und Beiläufigkeit: Die US–amerikanische Künstlerin Cassidy Toner zeigt im Kunstmuseum Basel, wie poetisch das Unvollendete und wie befreiend Scheitern sein kann.

Cassidy Toner

Cassidy Toner (1992 in Baltimore, USA, geboren, lebt und arbeitet in Basel) kommt ein wenig zu spät zum vereinbarten Interviewtermin. Ein Freund habe am Vorabend Geburtstag im Park des Tinguely-Museums gefeiert, «mit DJ-Set und allem», sie sei lange unterwegs gewesen. Baseball-Cap, Zigarette zwischen den Fingern, Toner bedankt sich, dass man sich Zeit für sie nimmt. Sie macht es einem leicht, sie zu mögen. Ist auf den ersten Blick so zugänglich und verschmitzt wie ihre Kunst. Toners Arbeiten reichen dabei von Installationen und Gemälden über Skulpturen und Videoarbeiten. Sie lässt Staubbälle durch Ausstellungen fahren oder die Comicfigur Wile E. Coyote auftreten, zitiert in diesem Kontext Mark Twain mit «The coyote is a living, breathing allegory of Want. He is always hungry», auch mal Camus, Beckett sowieso. Und ist mit ihrem Werk doch auch immer wieder ganz nah bei der Lebensrealität junger Kunstschaffender und bei unser aller Erfahrungswelt.

Toners Arbeiten waren bereits in der Kunsthalle Zürich (2023), am Swiss Institute in New York (2020) oder in der Kunsthalle Basel (2019) zu sehen. 2021 erhielt sie den renommierten Kiefer-Hablitzel-Göhner-Kunstpreis für Kunstschaffende unter dreissig Jahren. Statt neue Werke einzureichen, hängte sie eine Fototapete ihres Ausstellungsstands aus der Bewerbung von vor zwei Jahren auf. Diese Arbeiten habe sie schliesslich immer noch gut gefunden, mitgeliefert hatte sie gleichzeitig ein Statement gegen den Druck, dem Kunstschaffende ausgesetzt sind, ständig Neues hervorbringen zu müssen.

Mit dem Manor Kunstpreis 2025 wurde sie ebenfalls ausgezeichnet, er geht einher mit 15 000 Franken, einer Ausstellung und einer begleitenden Publikation – und ist einer der wichtigen Förderpreise des zeitgenössischen Kunstschaffens in der Schweiz. Ihre Ausstellung, die noch bis im Januar 2026 im Kunstmuseum Basel zu sehen ist, trägt den Titel «Besides the Point». Er kombiniert das englische Idiom «beside the point» (am Thema vorbei) mit dem Wort «besides» (ausserdem). Die Künstlerin sagt darüber: «Bei diesem Titel schwingt mit, sich auf all das zu konzentrieren, was direkt neben dem Punkt liegt, statt auf den Punkt selbst.»

Tatsächlich sind das vermeintlich Nebensächliche, das Beiläufige ein wiederkehrendes Thema von Toners Arbeiten – aus dem sie nun in Basel, auf drei Räume verteilt, das übergreifende Thema ihrer Präsentation entwickelt. Sie ist Toners bislang umfangreichste institutionelle Einzelausstellung und versammelt eine Reihe neuer Werke. Speziell dafür sind Keramikskulpturen, eine grossformatige Wandzeichnung, ein Video und eine Installation mit Gussobjekten aus Kunstharz und Zinn entstanden.

Wenn Toner also im ersten Raum eine Gruppe antiker Statuenstützen zum Hauptwerk macht – Elemente, die sonst lediglich als Beiwerk an die Skulptur angeheftet sind und eine rein statische Funktion erfüllen –, wirken die zunächst einfach wie eine «kleine seltsame Herde», ergänzt durch comichaft gestaltete Alltagsobjekte wie Schlüssel, Münzen oder Schrauben. Gleichzeitig setzen sie sich mit überlieferten Regelwerken für figurative Skulpturen auseinander. Ihre Formen nehmen augenzwinkernd Bezug auf Ideale der Bildhauerei und rufen den Betrachtenden all jene kleinen Dinge des Alltags in Erinnerung, die wiederum uns unterstützen.

Im Video «En Garde» (2025) des nächsten Raums rückt Toner den absurden Alltag des Museumspersonals ins Zentrum. Die Idee dazu sei ihr vor Jahren gekommen, als einer ihrer Freunde während der Pandemie allein als Wachmann in einem leeren Museum arbeitete. «Ich stellte mir vor, wie er immer wieder zu sagen übt: Fass das nicht an, fass jenes nicht an – dabei ist da gar niemand.» Die eigenwillige Hommage ans Aufsichtspersonal entstand im Kunstmuseum Basel, Toner montiert darin repetitive Abläufe und einstudierte Rollenbilder. Inspiration für die komödiantische Darstellung sei der Avantgarde-Kurzfilm «I, an Actress» (1977) von George Kuchar, in dem eine Schauspielerin bei den Proben zu einer Szene immer wieder neu ansetzt. Und Toner die Parallele zu einem Sisyphus mit dem ihn immer wieder zurückwerfenden Felsen ziehen lässt. Die Vergeblichkeit seiner Aufgabe mache ihn schliesslich erst zu dem, der er ist. Immer wieder dieselben Aufgaben zu erfüllen, immer wieder zu scheitern und neu zu beginnen, diese Dynamik zieht sich durch Toners Schaffen. Ob es in der Kunstwelt viel Theater gebe? Sie sagt: «Klar. Wir weisen Dingen Wert zu, die theoretisch vielleicht keinen haben. Ich mag die Idee, dass ein zerknittertes Papier und eine Bronzeskulptur gleich viel kosten. Es zeigt die Absurdität dieser Wertzuweisung.»

Der dritte und letzte Raum der Ausstellung versammelt kleinformatige Gussobjekte zu einer Installation, die das Unvollendete aufgreift. Er wirkt wie eine Baustelle. An den Wänden hängen eine gegossene Luftpolsterfolie und halb ausgepackte Arbeiten. Werkzeuge und Nägel liegen nur scheinbar herum – alles ist perfekt inszeniert, ein Trompe-l’Œil, das den unfertigen Eindruck täuschend echt nachstellt. «Ich bin gespannt, wie das Publikum reagiert», sagt Toner. «Ich wollte dieses kollektive Gefühl einfangen, etwas nicht rechtzeitig zu Ende zu bringen.» Das von ihr zitierte künstlerische Prinzip des Non-Finito, des absichtlich Unvollendeten, spiegelt dabei ihre Haltung zu ihrer Identität als Künstlerin. «Ich glaube nicht, dass Dinge in Stein gemeisselt sein müssen. Es geht darum, sich eine Offenheit zu bewahren», sagt Toner. Sie verweist auf das Stand-up-Special «Live at the Purple Onion» von Zach Galifianakis: «Er spielt verschiedene Rollen, schaut in die Kamera und sagt: Ich kann mich nicht entscheiden, wie ich rüberkommen möchte. Genau das inspiriert mich. Ich will mich ebenfalls nicht festlegen müssen.»

Woher weiss sie denn dann, wann so eine «unvollendete» Arbeit fertig ist? «Das ist eher ein ästhetisches Gefühl. Es braucht eine Menge Planung, damit es spontan aussieht, damit es aussieht nach ‹Scheisse, Scheisse, Scheisse, ich bin einfach nicht fertig geworden und muss nun loslassen ...›» Besonders einfach sei es ihr nun auch nicht gefallen, diese für ihre Karriere so wichtige Ausstellung in Basel loszulassen. Die Idee dazu sei ihr gekommen, als sie sich mit ihrer Galerie für den Sektor «Statements» der Art Basel beworben habe. «Der Vorschlag für den Stand war ein unfertiger Stand. Was in der Realität ein Albtraum wäre an der Art. Ich habe dafür sogar Xanax-Schachteln gegossen, als wäre der Galerist in letzter Sekunde einfach ausgeflippt.» Eine Baustelle gescheiterter Vorhaben. «Dieses Gefühl, seinen Shit nicht beisammenzuhaben. Zu scheitern, erscheint mir als eines der Dinge, die unvermeidlich erscheinen – es aber vielleicht doch nicht sind. Wenn ich mir von Anfang an vornehme, zu scheitern, und es dann tatsächlich tue, als ob es meine Absicht gewesen sei, habe ich dann wirklich versagt?» In ihrer Arbeit versage sie sowieso regelmässig, das sei Teil ihres Jobs.

Zur Kunst kam Toner ohne frühkindliche Prägung – die Mutter mache was mit Computern, der Vater war Hausmeister. Als Kind sei sie irgendwie seltsam gewesen, Kunst aber kein Thema. Auf Toners Website zeigt sie ein Kinderbild, auf dem sie als kleine Künstlerin mit Pinsel und Farbeimer in Szene gesetzt wurde, unterschrieben hat sie das Bild mit: «Careful how you pose your children … it may have lifelong consequences.» Über ihre Profession sagt sie selbst, dass Kunstschaffen wohl der einzige Beruf sei, bei dem man behaupten könne, Spezialistin zu sein – selbst wenn niemand einen anheuere.

In ihre Wahlheimat Basel kam Toner, um an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW ihren Master of Fine Arts abzuschliessen oder, wie sie selbst sagt, «in die Falle der höheren Bildung zu tappen». Seit 2017 betreibt sie dort das freie kuratorische Projekt «Rheum Room». Vertreten wird sie von der Zürcher Galerie Philipp Zollinger. Ihr Atelier befindet sich in einem alten Gebäude direkt hinter dem Badischen Bahnhof. Beeinflusst ihr amerikanischer Hintergrund ihre Kunst, die in der Schweiz entsteht? «Bestimmt. Ich bin in einer anderen Realität aufgewachsen. Bis ich herzog, dachte ich, Heizkörper machen Lärm. Ich wusste nicht, dass Busfahrpläne wirklich etwas bedeuten. Es wäre mir bis dahin nicht in den Sinn gekommen, sie ernst zu nehmen.»

Was macht es mit ihr, wenn das Publikum ihre Kunst, die so leichtfüssig daherkommt, nicht ernst nimmt? Sie als trivial empfindet, weil Toner sich des Mittels des Humors bedient? «Wenn Leute meine Kunst als Witz abtun, ist das okay», sagt sie. «Ich versuche, auch die einzuladen, die vielleicht erst mal gar keinen Sinn dafür haben. Ich mag es, wenn Arbeiten zugänglich sind, einen zum Lachen bringen und dann vielleicht mehr eröffnen, wenn man sie länger betrachtet. Wenn sich die Menschen Zeit nehmen, weiterzudenken, öffnen sich vielleicht noch andere Türen zur Arbeit.» Sie zitiert die amerikanische Autorin Lauren Berlant, dass das Heilmittel für Humorlosigkeit Humor sei. «Ich kann damit leben, wenn meine Arbeit immer wieder missverstanden wird. Das ist wohl Berufsrisiko.»

«Besides the Point» ist bis zum 11. Januar 2026 im Kunstmuseum Basel zu sehen. Zur Ausstellung erscheint im Herbst das Buch «Hands on».

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