Künstlerin Louise Bonnet

Verstörend schön

Louise Bonnet erschafft grotesk verzerrte Körper mit fleischigen Nasen, die zwischen Traurigkeit und Komik changieren. Die in Los Angeles lebende Schweizerin hat mit ihren Bildern im Sturm die Kunstwelt erobert — ihre Werke hängen inzwischen in einigen der renommiertesten Museen.

Intim

Wie malt man Schönheit, wenn man alles, was schön sein könnte, verzerrt? Louise Bonnet malt monströse Geschöpfe mit wuchernden Hintern und tropfenden Brüsten. Doch die Obszönität des Fleisches und der Voyeurismus, den sie bei Betrachtenden auslöst, werden durch ihre altmeisterlich-feinsinnige Malerei mehr als nur erträglich: Licht, Farbe und Volumen sind so sorgfältig austariert, die Gesten so intim, dass man vor Staunen innehält. Ihr erstes Ölbild entstand 2013, da war sie über 43. 1970 in einem Genfer Vorort geboren, erinnert sich Bonnet vor allem an die Langeweile in der suburbanen Umgebung und die grauen Wintermonate. Zu Hause gab es keinen Fernseher, dafür klassische Musik, und im Büchergestell standen Bände über mittelalterliche Kunst. Bonnet entfloh der Isolation mit Zeichnen, studierte Illustration und Grafikdesign an der École des arts décoratifs in Genf (heute: Haute école d’art et de design), und arbeitete kurz als freie Grafikerin. 1994 ging sie für ein Jahr als Aupair nach Los Angeles – und blieb. «Plötzlich war ich von diesem Licht umgeben», erinnert sie sich. «Es öffnete mir den Kopf. Diese Weite, diese grossen Räume gaben mir ein Gefühl von Freiheit.» Eine Zeit lang arbeitete sie dann als Grafikdesignerin für das Streetwear-Label Xlarge. Mit dem Mitbegründer, Adam Silverman, der heute Keramiker ist, ist sie verheiratet. Erst als ihre Kinder grösser waren, begann sie, intensiv mit Malerei zu experimentieren – und erreichte damit schnell Aufmerksam-keit in der internationalen Kunstszene.

Bolero Sie haben als Grafik­designerin begonnen und sind heute eine der gefragtesten Malerinnen der Gegenwart. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Louise Bonnet Für mich war es ein organischer Prozess. Als Grafikerin zeichnete ich Linien mit dem Stift, alles war flach. Ich suchte aber immer mehr nach Form und Tiefe. Zunächst malte ich mit Acryl, aber die Offenbarung kam, als ein Freund mir sagte, ich solle es einmal mit Öl probie­ren. Ich schaute ein paar Youtube-Videos, um überhaupt eine Ahnung zu ­erhalten, welche Utensilien ich dazu brauchte. Dann ging ich in den Künstlerbedarfsladen und kaufte ein. Danach war es für mich, als hätte ich das Feuer entdeckt.

Sie hatten kein Netzwerk und kein Kunststudium – und trotzdem sind Sie bei der international renommierten Powergalerie Gagosian gelandet. Wie haben Sie das geschafft?

Ich war zum Glück schon alt genug, um zu wissen, was mir wichtig war. Ich wusste, ich wollte nichts anderes machen, als zu malen. Also musste ich ausstellen. Weil ich kein Netzwerk hatte, begann ich, Freunde in mein Atelier einzuladen. Ich wollte, dass meine Malerei sichtbar wird.

Ihre Freundin, die Schriftstellerin Miranda July, erzählte, wie Sie zusammen durch Galerien gezogen sind in der Hoffnung auf Kontakte – ohne Erfolg.

Ja, es dauerte, bis ich zu einer ersten Gruppenausstellung eingeladen wurde. Aber diese Sichtbarkeit zählt. So lernt man die Leute aus der Branche kennen. Wenn sie dich und deine Kunst mögen, erzählen sie andern davon – genau das ist passiert.

Nach einer ersten Gruppen- und Einzelausstellung in lokalen Galerien nahm Bonnets Karriere rasant Fahrt auf. Seit 2020 hatte sie fünf ausverkaufte Solo-Shows in Basel, New York und Hongkong. Mit Gagosian im Rücken und der Teilnahme an der Biennale Venedig 2022 gelang ihr der internationale Durchbruch. Heute hängen ihre Werke in bedeutenden Museen weltweit, darunter das MOCA in Los Angeles, das Long Museum in Shanghai, das ICA in Miami und das Moderna Museet in Stockholm.

Die Körper, die Sie malen, haben oft übertriebene, groteske Proportionen. Schwingt da auch Ihr Widerstand gegen die Mainstream-Schönheitsideale mit?

Ich habe keine politische Agenda. Ich male sie, weil sie für etwas stehen, das unbequem ist. Mir geht es darum, das Unkontrollierbare zu zeigen. Ich habe das Gefühl, dass Brüste dafür gut geeignet sind, weil man sie nicht kontrollieren kann – das finde ich spannend. Penisse zum Beispiel würde ich auch interessant finden, weil sie eine gewisse Komik haben, aber ich weiss nicht, wie sie sich anfühlen.

Kritiker haben sich schon gefragt, ob Ihre Figuren nicht auch gängige Stereotype ungewollt verstärken könnten. Haben Sie Angst vor Missverständnissen?

Wenn jemand denkt, meine Bilder würden Klischees verstärken, dann glaube ich, hat er nicht richtig hingeschaut. Meine Arbeit lässt sich nicht schnell konsumieren. Man muss davorstehen, sich Zeit nehmen und sich eine Meinung bilden. Ausserdem wirken die Werke in echt sehr viel anders als auf Fotos – dieser Unterschied ist wichtig.

Sie haben einmal gesagt, Malen ermögliche Ihnen, Angst, Wut oder Tod einzufrieren, sodass man sie von aussen betrachten könne. Das klingt sehr existenziell.

In meiner Malerei geht es mir um die unangenehmen menschlichen Gefühle – Scham, Wut, Demütigung. Dinge, die uns menschlich machen. Ich versuche, sie sichtbar zu machen, ohne dass sie einen überwältigen.

Ihre Figuren wirken oft isoliert. Spiegeln sie Ihre Sicht auf den Umgang miteinander im Zeitalter von Social Media?

Vielleicht unbewusst, ja. Es hat aber auch einen praktischen Grund: Meist interessiert mich ein ganz spezifischer Aspekt einer Figur. Wenn ich mehr Interaktion hinzufügen würde, ginge manchmal das, was mich fasziniert, verloren.

In Ihrer letzten Ausstellung im Swiss Institute in New York haben Sie Gesten stärker in den Vordergrund gestellt. Ich habe gelesen, Sie seien von Ferdinand Hodler und vom Handbuch der Organisation Special Operations Executive, einer Anleitung für britische Spione im Zweiten Weltkrieg, inspiriert worden. Wie das?

Ich habe vor vielen Jahren eine Postkarte von einem revolutionären Bild von Hodler gesehen, auf dem ein Mann einfach nur eine Jacke anzieht. Diese Geste allein hat bei mir offenbar einen so starken Eindruck hinterlassen, dass ich sie Jahre später in eine Arbeit aufgenommen habe.

Und was hat es mit den Spionen auf sich?

Mich faszinierte, wie sich Spione verhalten mussten. Wie Menschen in einer solchen Situation ihre Körper verstecken, sie verändern, sich kontrollieren und neue Gesten einüben, um zu überleben – all diese Tricks, um nicht aufzufallen, sich nahtlos einzufügen, als wären sie schon immer dort gewesen. Sie mussten lernen, ihre Hände nicht in die Taschen zu stecken, weil das in Frankreich unüblich war und sie verraten hätte, oder beim Suppeessen den Löffel quer zum Mund zu halten.

Es geht Ihnen also um Gesten, die wir uns lange angelernt haben und oft unbewusst ausführen.

Genau. Viele meiner Figuren machen Gesten, deren Ursprung wir nicht verstehen, aber unser «Reptiliengehirn» erkennt sie vielleicht unbewusst. Die Hälfte von dem, was den Körper ausmacht, ist das, was er tut – wie er sich verhält, welche Gesten er macht. Ich beobachte das auch an mir selbst, wenn ich rede und plötzlich Gesten mache, ohne zu wissen, warum. Ich habe in einem Buch über Benimm-regeln aus dem 12. Jahrhundert gelesen, dass man sich in die Hand schnäuzen, aber hinterher nicht hineinschauen darf, weil sich das nicht ziemt. Benimmregeln ver-ändern sich – das fand ich spannend.

Wann wissen Sie, dass ein Bild fertig ist?

Wenn ich damit leben kann. Dann ist es richtig. Es dauert immer eine ganze Weile, bis ich mit einem Werk wirklich leben kann. Das ist nicht immer angenehm. Vieles davon macht überhaupt keinen Spass. Es ist harte Arbeit und manchmal auch ein bisschen schmerzhaft.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Mein Mann sagt immer, ohne Rhythmus gehe gar nichts. Ich versuche, jeden Tag ins Atelier zu gehen, aber es gibt auch Phasen, in denen ich unregelmässiger ­arbeite. Ich brauche beides – Struktur und Freiheit. Wenn ich ins Studio gehe, bin ich von morgens bis abends dort. Manchmal auch länger, wenn ich im Flow bin. Für mich funktioniert es nicht, einfach zu warten, bis mich die Inspiration trifft. Kreativität ist harte Arbeit. Man muss erscheinen, man muss anfangen – nur dann passiert etwas. Nur dann kommt die Inspiration.

Was hilft Ihnen, um in diesen Flow zu kommen? Komplette Stille? Musik?

Ich mag Stille. Manchmal höre ich aber auch ein Hörbuch. Keine Fiktion, denn ich kann mich nicht vollständig auf eine Geschichte konzentrieren und gleichzeitig arbeiten. Es muss etwas Sachliches sein, das mich nicht ablenkt. Jetzt höre ich gerade viel über den Kalten Krieg.

Sie leben nun schon seit über dreissig Jahren in Los Angeles. Wie hat das Ihre Sicht auf die Welt beeinflusst?

Ich empfinde die Menschen hier irgendwie als weniger wertend. Man stösst auf weniger Barrieren, und wenn es welche gibt, kann man sie leichter überwinden. Die Leute geben einem mehr Freiheit, mehr Spielraum, auch beim Malen. Den Leuten hier ist egal, was andere denken. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie das in Genf für mich herausgekommen wäre. Hier fühlte sich einfach alles viel befreiender an.

Inzwischen hat sich das Klima in den USA sehr verändert. Fürchten Sie ­Einschränkungen der künstlerischen Freiheit?

Ja, das beschäftigt mich sehr. Ich weiss von zwei Museumsausstellungen, die abgesagt wurden – wegen des Inhalts. Das ist einfach verrückt. Es ist so vieles schwieriger geworden. Umso beeindruckender war für mich meine Ausstellung im Swiss Institute in New York. Ich war begeistert, wie grosszügig und mutig dieses Haus ist. So etwas wäre hier in Los Angeles kaum noch möglich. Das hat mich wirklich berührt.

Wie fühlen Sie sich persönlich in den USA?

Es ist verrückt. Für uns hat sich zwar noch nichts geändert, aber insgesamt ist die Lage ziemlich erschütternd. Kalifornien liebe ich trotzdem. Es ist anders, irgendwie eigenständiger. Ich bin aber froh um meinen Schweizer Pass.

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