Ser Serpas in der Kunsthalle Basel

Heitere Heimkehr

Ser Serpas’ Schweizer Liebesgeschichte beginnt mit einem Missgeschick und gipfelt in einem Glücksmoment. Die Kunsthalle Basel zeigt die bisher grösste Soloschau der Amerikanerin hierzulande.

Ser Serpas

Sie sitzt in ihrem New Yorker Studio vor dem Computer. Ihre dunkle, weiche Stimme erfüllt den Raum, ihr ebenmässiges, rundes Gesicht hat den Glow, den sich jede Frau wünscht. Hinter ihr an der Wand lehnt ein schwarzes, run- des Trampolin, das sie auf der Strasse aufgelesen hat.

Im Big Apple ist das eine ganz normale Sache. Leute stellen Möbel, Hausrat, Trimgeräte vor die Haustüre, andere nehmen sie mit. So bekommen manche Dinge ein neues Leben bei jemandem, der sie noch gebrauchen kann. Ser Serpas hat aus dieser Praxis ihre Kunst entwickelt. Sie sammelt ein, was sie auf der Strasse findet, und fügt es in einem performativen Akt zu Skulpturen und Installationen zusammen. Das Trampolin wolle sie aber erst mal für sich selbst behalten, erklärt sie mir in unserem Zoom-Call. Ein wenig Bewegung während der Vorbereitungen zu ihren nächsten Ausstellungen täten ihrem Lymphsystem gut.

BOLERO Haben Sie sich noch nie geekelt, wenn Sie etwas mitgenommen haben, was andere auf den Müll werfen?

SER SERPAS Eigentlich nicht. Aber wenn ich meine Werke in Galerien oder Museen ausstelle, werden sie vorsorglich begast. Damit sie keimfrei sind.

Letzten Sommer konnten Sie während der Whitney Biennial einen ganzen Raum im Erdgeschoss des New Yorker Museums einnehmen. Während des Aufbaus wurde jedoch ein Urinal aussortiert. Warum?

Es war voller Vogelscheisse. Die Museumsleute haben es in eine Plastiktüte gesteckt und eine Etikette draufgeklebt, auf der mit Filzstift geschrieben stand: «Vogelscheisse. Serpas. Bitte zurückschicken.» Ich habe das Teil mal an den Bahngleisen am Rand von Williamsburg Richtung Bushwick gefunden. Es steht noch immer verpackt bei mir im Studio, und ich überlege, ob ich es nicht in die Gruppenausstellung im MoMA PS1 einbringen soll, die ich nächste Woche installieren werde. Es könnte also wieder einen Zweck bekommen.

Ihre Ausstellung in der Kunsthalle Basel beginnt im Juni – an einem Freitag, dem Dreizehnten. Sind Sie abergläubisch?

Nicht wirklich. Und wenn, dann glaube ich, dass es mir Glück bringt.

Die Vernissage zur Ausstellung ist so etwas wie der Auftakt zur Art Basel, der jährlichen internationalen Kunstmesse in der darauffolgenden Woche. Alle, die Rang und Namen haben in der Kunstwelt, werden kommen. Macht Sie das nervös?

Überhaupt nicht. Ich habe nur gute Erinnerungen an die Messe. Als ich 2018 das erste Mal nach Basel kam, war das die beste Zeit meines bisherigen Lebens. Damals hatte ich während des Zurich Art Weekend eine Soloschau im Luma Westbau, die von Fredi Fischli und Niels Olsen kuratiert worden war. Eigentlich sollte ich nach der Eröffnung wieder abreisen. Aber ich habe mich in der Nacht aus meinem Hotelzimmer ausgesperrt. So hatte ich am nächsten Morgen eine gute Ausrede, warum ich meinen Flug verpasst hatte. Ich konnte meine Reise verlängern und mit allen meinen neuen Freunden aus Zürich zur Art Basel fahren.

Ihre erste Bekanntschaft mit Basel war also so etwas wie eine glückliche Fügung?

Es war ein Glücksmoment. Und die kommende Ausstellung in der Kunsthalle fühlt sich für mich wie eine Heimkehr an. Ich freue mich und bin sehr aufgeregt.

BOLERO Der Titel Ihrer Ausstellung ist «Of my life». Was wollen Sie damit sagen?

SER SERPAS Wie immer zitiere ich aus einem Werk, das ich sehr verehre. Der Satz stammt aus der Fernsehserie «Twin Peaks». Der FBI-Agent Dale Cooper sagt ihn immer wieder, während er in Las Vegas ein Casino verlässt. Er ist gerade in die Welt der Lebenden zurückgekehrt und kann noch nicht richtig kommunizieren. Darum wiederholt er nur die Sprachfetzen, die er aufschnappt. Es ist, als ob er aus einem Dunstschleier auftaucht und etwas sagen möchte, aber nicht die richtigen Worte findet.

Geht es Ihnen genauso?

Wissen Sie, ich inszeniere diese Ausstellung zusammen mit dem Margo Korableva Performance Theatre aus Tiflis. In den ersten der fünf Räume, die ich bespiele, gestalte ich Bühnen, auf denen getanzt wird. Ich sage damit etwas zur Arbeit von anderen und verwende Objekte mit anonymer Herkunft. Die Aufführungen werden während der Art Basel stattfinden. Es wird aber auch Monitore geben, auf denen ausgewählte Performances aus den 1990er-Jahren gezeigt werden, die vom georgischen Theaterregisseur David Chickhladze inszeniert wurden. Ich habe ihn 2021 kennengelernt, als ich einige Zeit in Tiflis verbrachte. Unsere Zusammenarbeit jetzt ist wie ein Liebesbrief an die dortige Gemeinschaft.

Und wie geht die Ausstellung weiter?

Der vorletzte Raum ist eine Art Escape-Room. Und im letzten Raum, einem grossen Salon, zeige ich nur meine Gemälde und Skulpturen. Ich habe in den letzten beiden Monaten hier in New York über vierzig Leinwände für die Ausstellung bemalt.

Bleiben Sie Ihrem Thema, dem nackten Körper, treu?

Für mich geht es immer nur darum, Haut zu malen. Und zwar auf eine Weise, die es mir ermöglicht, den Körper zu betrachten, als wäre er eine Landschaft. Ich bin besessen von Körpern, meinem eigenen und denen anderer Leute. Ein nackter verzerrter Torso mit angewinkelten Knien, wie eine geduckte Figur in einem Raum, Farbtöne von Rosa zu Braun zu Schwarz, Texturen wie Blut und Adern – jedes Bild ist ein neuer Versuch, ein schemenhaftes Porträt, das alles darstellen könnte.

Sie spannen Ihre Leinwände nie auf Keilrahmen. Warum?

Ich nagle sie an die Wand, weil ich einen festen Untergrund brauche. Während des Malens bearbeite ich die Leinwand mit verschiedenen Werkzeugen. Ich schabe die Farbe wieder ab, besprühe die Oberfläche mit Leinöl oder drücke Stoff darauf, um eine andere Textur zu erzeugen. Manchmal lege ich auch zwei bemalte Leinwände übereinander und rolle sie zusammen. Dann teile ich sie wieder und arbeite separat an ihnen weiter. Es ist ein bisschen wie in einem Labor, und die Werke sehen nachher viel älter aus, als sie eigentlich sind.

BOLERO Den Müll können Sie aber nicht aus Amerika mitbringen. Wo wollen Sie also die Requisiten für Ihre Skulpturen finden? In der Schweiz stellt nicht jeder sein altes Zeug vor die Türe.

SER SERPAS Ich weiss. Das Museum macht sich auch schon Sorgen. Aber ich habe ja schon mal in der Schweiz gelebt, 2021, als ich an der Head Genève meinen Master of Arts machte. Ich kam 2019, und plötzlich wurde alles wegen Covid geschlossen. Dann haben wir in unserer Wohnung einfach einen Kunstraum eröffnet, Mohamed Almusibli, James Bantone, Thomas Liu Le Lann und ich. Jedenfalls bin ich schon damals auf die Strasse gegangen, wenn Sperrmüll abgeholt wurde, oder ich habe die Sammelstellen besucht. So werde ich es auch diesmal machen. Ich plane, mit einem grossen Transporter durch die ganze Schweiz zu touren. Wie ein Roadtrip. Dann bringen wir alles in ein Lager nach Basel, und ich werde damit die Skulpturen für die Ausstellung in der Kunsthalle machen.

Mohamed Almusibli ist heute der Direktor der Kunsthalle Basel. Und James Bantone wird von der gleichen Schweizer Galerie vertreten wie Sie: Karma International in Zürich. Es gibt also viele Anknüpfungspunkte hier.

Ich habe Karolina Dankow von Karma ursprünglich in meiner Heimatstadt Los Angeles kennengelernt. Ich hatte gerade an der Columbia University in New York den Bachelor in Visual Arts abgeschlossen und hatte eine meiner ersten sehr erfolgreichen Ausstellungen in Miami. Schon im gleichen Jahr war ich in einer Gruppenausstellung bei Karma vertreten. Auch wenn die Galerie in LA wegen Corona schliessen musste, wurde die Zusammenarbeit enger.

2023 war ein wichtiges Jahr für Sie. Sie hatten Soloschauen in zwei bedeutenden Institutionen.

Von Januar bis April habe ich im Swiss Institute in New York ausgestellt. Ich habe grosse, bemalte Leinwände gezeigt, eine Menge ausgerissener Seiten aus meinen Notizbüchern und Aufnahmen, die Rafik Greiss, ein befreundeter Fotograf, von mir in Paris gemacht hatte. In Fontainebleau, in den Aussenbezirken, in verschiedenen Lagerhäusern, auf der Strasse. Ich habe lange schwarze Haare und sehe aus wie ein Monster in einem Horrorfilm. Die Objekte, die ich auf den Fotos einsammle und zu Skulpturen zusammensetze, habe ich ab September desselben Jahres in der Bourse de Commerce der Pinault Collection gezeigt. So waren beide Ausstellungen eng miteinander verbunden. Zum Schluss wurden alle Objekte im Keller des Pariser Museums während eines DJ-Sets zerstört.

BOLERO Was wollten Sie damit ausdrücken?

SER SERPAS Nun, der Besitz endet. In meiner Vorstellung werden die Objekte befreit. Nachdem sie Kunst waren, können sie fachgerecht entsorgt und dem Alltag entzogen werden. So wie am Ende von Stanley Kubricks Horrorfilm «The Shining», wo alle Leute, die im Hotel sterben mussten, als Geister an einer Party sind. Auch Objekte können Transzendenz erfahren, indem man sie für Aufführungen nutzt, ausstellt, erneut inszeniert und dann zerstört.

Zur gleichen Zeit haben Sie in Paris eine Künstlerresidenz bezogen. Wie haben Sie die Stadt erlebt?

Ich habe 2023 den Reiffers Art Initiatives Price gewonnen und war für sechs Monate in einer Künstlerresidenz von Art Explora am Montmartre. Es war einfach wunderbar, als würde man auf einer Insel wohnen. Ich bin um Sacré-Cœur herumgelaufen und habe mit ihr gesprochen.

Es scheint so, als würden Sie viel in der Welt herumreisen. Fällt Ihnen das Packen leicht?

Früher habe ich viel mehr mitgenommen. Ich hatte verrückte Outfits dabei und mindestens sechs Paar Schuhe. Heute brauche ich das alles nicht mehr. Ich fühle mich wohler in einer guten Lederjacke und einem schlichten Anzug. Ich trage gerade nur Männerkleidung. Das ist einfacher, zu handhaben. Auch zum Arbeiten habe ich ein spezielles Outfit. Ich bewege mich viel am Boden und trage schwere Sachen herum. Dafür brauche ich Schutzkleidung und Knieschoner, damit ich mich nicht verletze. Das muss ich alles mit nach Basel nehmen, weil ich ja für die Vorbereitungen fast zwei Monate da bin. Ich werde vorher noch zu Muji gehen und mir einen neuen Koffer kaufen, weil mein alter kaputt ist. Er liegt jetzt auf dem Haufen fürs MoMA PS1.

Sie lieben auch Parfum. Sie haben sogar mal eine Installation mit lauter Flacons auf einem alten Schminktisch gemacht.

Ich habe noch immer etwa siebzig Parfumflacons in meinem Kühlschrank (steht auf und kommt mit einem Tablett voller kleiner Flaschen zurück, das sie in die Kamera hält). Ich versuche, nicht mehr so viel zu kaufen, aber wenn ich am Flughafen bin und etwas Neues entdecke, kann ich nicht widerstehen. Erst kürzlich habe ich mir einen brasilianischen Männerduft aus den 1990er-Jahren gekauft. Man kann durch Parfum verschiedene Identitäten annehmen und seine Perspektive verändern.

BOLERO Sind Sie etwa nostalgisch?

SER SERPAS Ich mag die Nostalgie. Aber nur in Erinnerungen schwelgen bringt einen nicht weiter. Ich möchte den Moment geniessen und eine neue Liebe finden. Ja, ich sollte mehr Dates haben!

Torschlusspanik?

Ich werde am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, dreissig Jahre alt. Das ist ein Sonntag, und ich will mit meinen Freunden in New York feiern. Ich denke, das kommende Jahrzehnt wird ein glückliches. Ich habe mehr Selbstvertrauen als früher, ich sehe mich klarer, kann mich besser akzeptieren und kenne meinen Job. Wissen Sie, ich habe vor fast zwei Jahren mit der Psychoanalyse angefangen und vor Kurzem auch mit transzendentaler Meditation. Ich lerne auf vielfältige Weise, mit dem Stress des Lebens umzugehen. Panik? Nein. Seit ich wieder in New York bin, ist es ziemlich still geworden. Ich gehe weniger aus und versuche, mich wirklich auf eine Sache zu konzentrieren. Das ist gut so, denn in Basel werde ich einige der besten Gemälde zeigen, die ich je gemacht habe. In der Vergangenheit war ich oft sehr nervös und musste mich durchbeissen. Dieses Mal fühlt es sich so an, als wüsste ich genau, was ich tue – auch dass ich genug Schlaf brauche, um harte Zeiten zu überstehen. Apropos, ich muss gleich nachher in der Bar anrufen, die ich für meinen Geburtstag reservieren will!

Ist Ser der Name, den Ihnen Ihre Eltern gegeben haben?

Ser war ursprünglich mein Künstlername. Ich habe einfach die ersten drei Buchstaben meines Nachnamens genommen und fand das irgendwie gut. Und dann, als es an der Zeit war, einige rechtliche Dinge zu klären, habe ich den Namen einfach gelassen.

Was kommt nach Basel?

Ich gehe zurück nach New York, um dort den Sommer zu verbringen. Ich glaube, ich werde mir eine Air-Condition in meinem Studio einbauen lassen und viel arbeiten. Und ich habe das Gefühl, als wäre mein Leben in Paris noch nicht vorbei. Ich möchte ein Visum beantragen und zwischen beiden Städten pendeln. Ich werde endlich Französisch lernen und auch mehr Spanisch sprechen, die Sprache meiner mexikanischen Mutter und meines Vaters aus El Salvador. Das wäre sexy.

«Ser Serpas. Of my life», Kunsthalle Basel, 13. Juni bis 21.September 2025.

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