Eine goldene Nase

Francis Kurkdjian, der neue Hausparfumeur von Dior, hat als erste Mission einen Bestseller neu interpretiert. L’Or de J’adore sei ein wenig wie er: nett, aber geradlinig, scharfsinnig und direkt.

L’Or de J’adore

Francis Kurkdjian, Sie sind vor eineinhalb Jahren zum Hause Dior gestossen. Wie dürfen wir uns die bisherige Zusammenarbeit vorstellen?

Es ist viel mehr als eine Zusammenarbeit. Fragen Sie mich lieber: «Wie ist es, vom Hause Dior eingenommen zu werden (lacht)?» Nein, ganz im Ernst: Man geht durch die verschiedensten emotionalen Phasen. Nervenkitzel, Angst, Stress. Die Phase, in der du keine Zeit hast, nachzudenken, weil du arbeiten musst – und abliefern. Dann die Anpassung, die Überzeugungsarbeit, während derer du all denjenigen Leuten deine Vision zu vermitteln versuchst, die vielleicht eine andere Richtung einschlagen möchten. Obwohl ich hierzu sagen muss: Meine Ideen wurden früh vom Topmanagement und von Bernard Arnault abgesegnet. Es war nicht so, dass ich einfach reinplatzte und sagte: «Jetzt machen wir, was ich will.» Aber natürlich, es war einiges los. Zum Glück brauche ich nur fünf Stunden Schlaf!

Sie führen die Arbeit von François Demachy, Ihrem Vorgänger bei Dior, weiter. Wie erfolgt die Ablösung eines Creative Director?

Der Wechsel eines Parfumeurs bedeutet für ein Haus immer auch einen Wechsel in der Philosophie der Herstellung eines Parfums. Wie geht man mit den Rohmaterialien um? Am Ende stehen auf dem Etikett des Duftes dieselben Ingredienzen, aber wie man damit arbeitet, kann sich stark unterscheiden. Ich bin dafür bekannt, geradlinig und direkt mit ihnen umzugehen, wogegen François delikater, luftiger arbeitet.

Für genau diese Geradlinigkeit ist Ihre eigene Parfummarke Maison Francis Kurkdjian bekannt. Wie viel Raum für Ihre Persönlichkeit lässt die Zusammenarbeit mit einem der grössten Traditionshäuser der Welt zu?

Ich sehe das Ganze als ein Zusammenspiel: Wir sind Partner, die einander in unseren jeweiligen Verantwortungsbereichen unterstützen. Es gibt keine Rechthaberei. Das schätze ich sehr, das ist für mich grossartiges Teamwork.

Bleibt bei einem so grossen Job überhaupt noch Zeit für Ihre eigene Linie?

Wie gesagt: Ich brauche glücklicherweise nur wenig Schlaf. Und es ist alles eine Frage des Trainings. In gewissen Phasen meines Lebens arbeitete ich an zehn Projekten gleichzeitig.

Das erforderte ein schnelles Umdenken, man springt vom einen Hirn ins andere. Das ist intellektuelle Arbeit. Wenn die Ausgangslage aber klar ist, weiss man, was zu tun ist. Und doch: Manchmal fühle ich mich wie in einem Pferderennen.

Wie kreieren Sie eigentlich einen Duft, wo fangen Sie an?

Ich bin komplett unfähig, zu arbeiten, wenn es keine Geschichte gibt. Bei L’Or de J’adore war diese zum Glück vorhanden – und wie! Der Duft entspringt ja J’adore L’Or aus dem Jahr 2010, dem Vorgängerparfum des Hauses. Dieser Name kann so vieles bedeuten. Bei meiner Kreation steht L’Or, das Gold als Essenz, an erster Stelle – wortwörtlich. Wie es der Zufall will – oder das Schicksal, ich bin etwas abergläubisch –, assistierte ich 1998 Calice Becker, der Kreateurin des Ursprungsduftes J’adore, und habe ihn mitentwickelt. Ich erinnerte mich also zurück an unsere Gespräche von damals, an unseren Austausch über dieses Parfum. Das war natürlich eine grossartige Quelle der Inspiration.

J’adore ist seit fünfundzwanzig Jahren ein Bestseller. Warum?

Ganz einfach: Das Eau de Parfum ist die Quintessenz der floralen Duftwelt

Wie knüpfen Sie an den Erfolg an?

Meine Weiterführung sehe ich viel eher als Konzentration denn als neue Version. Ich arbeitete das Herzstück des Urparfums heraus. L’Or ist in diesem Sinne also die reinste Essenz von J’adore.

Als J’adore 1999 herauskam, sah die Welt ganz anders aus. Die Menschen und ihre Lebensumstände haben sich verändert, wir haben heute alles im Überfluss …

… aber was uns als Menschheit verbindet, ist die Fähigkeit, zu träumen. Man kann den Leuten alles geben, aber wenn man ihnen das Träumen nimmt, werden sie verrückt. Und das Haus Dior ist das Haus der Träume. Übrigens genau der Grund, weshalb ich Teil davon werden wollte. Ich hätte den Job nicht annehmen müssen – ich hatte meine Projekte, ich war frei wie ein Vogel, es ging mir gut. Aber ich hatte Lust, die Herausforderung anzunehmen. Natürlich ist die Zeit heute eine andere, und natürlich haben wir heute als Gesellschaft wie als Einzelpersonen unsere Traumata. Umso mehr empfinde ich es nun als meine Aufgabe als Parfumeur, morgens aufzuwachen und zu tun, was mich glücklich macht. Und das ist, andere glücklich zu machen. Das erfüllt mich. Bei Dior sagen wir: Schönheit ist ein Erbe.

Wie stehen Sie zu Technologie und künstlicher Intelligenz? Wie kann man einen Duft in einer digitalen Welt erlebbar machen?

In der Zukunft der Parfumherstellung geht es für mich auch um Aufklärung. Was alles steckt in der Kreation eines Dufts? Das Modell der Parfumerie, mit dem ich arbeite – anhand einer Formel, die natürliche und synthetische Rohmaterialien genau definiert und sich so duplizieren lässt –, ist nämlich ein relativ junges Handwerk, gerade mal ungefähr so alt wie die Fotografie. Mit der künstlichen Intelligenz gibt es nun eine Verschiebung im Markt. Ich glaube, sie wird zukünftig verarbeiten, was von den legitimen Dufthäusern auf den Markt gebracht wird. Aber sie wird nicht so kreieren können, wie wir es tun. Wir müssen den Unterschied verstehen zwischen einem Produkt und seiner Bedeutung. Nur die menschliche Kreation transportiert ein Gefühl. Man könnte sagen, ein Parfum steht für eine unvergleichliche Emotion.

Das Haus Dior ist bekannt für seine Duftfamilien. Möchten Sie eines Tages Ihre eigene kreieren?

Ich habe Geschichten, die ich erzählen möchte, ja. Aber wenn ich etwas gelernt habe, ist es, dass Kreativität und Qualität Zeit brauchen. Und das, obwohl ich als Mensch sehr ungeduldig bin und immer möchte, dass alles schnell und effizient geschieht. Es ist mir auch sehr wichtig, demütig und bescheiden zu bleiben. Obwohl mein Start mit L’Or de J’adore eigentlich alles andere war als das!

Für L’Or de J’adore kollaborierten Sie mit dem Digitalkünstler Refik Anadol. Was verbindet Ihre mit seiner Arbeit?

Unser Handwerk ist grundsätzlich sehr unterschiedlich. Ich traf Refik und erklärte ihm, wie Parfumkreation funktioniert: fast wie Mathematik. Seine Kunst basiert ebenfalls auf Zahlen, die er dann in ein Bild verwandelt. Seine Datenbank sind Nummern, meine sind Gerüche. Die Rohmaterialien haben alle eine Klassifikationsnummer, ähnlich wie Pantonefarben. Ich habe Refik also die komplette Formel meines Parfüms geschickt – begleitet von einem ganz strengen Non-Disclosure Agreement!

Das Gesicht von L’Or de J’adore bleibt die Schauspielerin Charlize Theron. Inwiefern ist sie die perfekte Verkörperung des Dufts?

Sie ist smart, intelligent, und ich mag, wie sich ihre Weiblichkeit weiterentwickelt hat. Nach all den Jahren – warum würde es nicht Charlize bleiben?

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